Was ist eine gute Entscheidung? Und wie kommt sie zustande? Beim 5. Jugendpolitischen Workshop des Jugendpolitischen Teams des Bundes der Ev. Jugend in Mitteldeutschland (bejm) ging es um diese Fragen. Traditionell am ersten Wochenende der Osterferien treffen sich die Engagierten aus der Ev. Jugend, um sich fortzubilden, sich gegenseitig zu stärken und gemeinsam zu planen, wie und wo sie sich jugendpolitisch einbringen möchten. Erstmals fand der Workshop in diesem Jahr auf Schloss Mansfeld in Sachsen-Anhalt statt.
Anlass für das diesjährige Thema, „Wer die Qual hat, hat die Wahl“, waren die vielen anstehenden Wahlen. Es ging unter anderem darum, was eine gute Entscheidung ist. Dabei brachte Christopher Dehn vom CVJM Sachsen-Anhalt das Prinzip des Inneren Opas, bzw. der Inneren Oma ein. Um eine gute Entscheidung zu treffen, befragt man danach das vorgestellte eigene Selbst im Seniorenalter. Es gehe um eine „selbstfürsorgliche Zukunft“, erklärte Dehn.
Da gute Entscheidungen nicht nur in Auseinandersetzung mit sich selbst oder mit den inneren Großeltern getroffen werden, sondern in sozialen Kontexten entstehen, waren Gesprächstechniken für gute Argumentationen und das Erkennen von Manipulationen weitere Programmpunkte. Finn Dauke aus der Ev. Jugend in Weimar erklärte in seinem Input, dass u.a. Suggestivfragen, Scheinkausalitäten oder wenn jemand von „Wir“ spricht, wenn er besser „Ich“ sagen sollte, zu den häufigsten Manipulationstechniken gehören, die Menschen bewusst oder unbewusst einsetzen, um andere in die von ihnen gewünschte Richtung zu lenken.
Zum Abschluss wurde die weitere Zusammenarbeit des Jugendpolitischen Teams und die Beteiligung am Ev. Jugendfestival im Juni in Volkenroda vorbereitet. Hier wird ein Gesprächsformat mit Politiker:innen gestaltet werden, in dem es direkt vor der Europawahl über demokratisches Miteinander und das Verhältnis von Mehr- und Minderheiten gehen wird.
Jubiläen wecken oftmals den Eindruck der althergebrachten Selbstverständlichkeit. In vielen Fällen werden sie genau auf diese Wirkung hin demonstrativ und symbolträchtig inszeniert. Bei der 10. Thüringer Arbeitszeitkonferenz am 21. und 22. März 2024 ging es jedoch weniger pompös zu, als vielmehr fokussiert und betriebsam. Von einer Zufriedenheit mit Erreichtem und einem verdienten Ausruhen war im 30. Jahr des Bestehens des deutschen Arbeitszeitgesetzes – ein weiteres Jubiläum – nichts zu spüren. Es gibt viel zu tun.
Streikrecht einschränken, Feiertage streichen – Ist das „Aufwertung“ der Arbeit?
Frank Fehlberg, Studienleiter für Arbeit und Wirtschaft an der Evangelischen Akademie Thüringen und Referent für den Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt, machte zur Eröffnung mit einem Zitat aus der Geschichte der Arbeitszeitpolitik noch einmal darauf aufmerksam, dass Auseinandersetzungen um die Arbeitszeit nicht nur individuelle Grundbedürfnisse berühren, sondern Kernfragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts sind.
„Der Kampf um die 35-Stunden-Woche ist daher weit mehr als ein nur ökonomischer Kampf. Er ist ein Kampf um die Veränderung gesellschaftlicher Machtverhältnisse.“ Franz Steinkühler 1983, IG Metall-Vorsitzender 1986-1993, „Vater der 35-Stunden-Woche“
Wer etwa den Arbeitskampf um die 35-Stunden-Woche im Konflikt zwischen der Deutschen Bahn (DB) und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) als „übertrieben“ einschätze, solle sich die Entwicklung der DB seit ihrer Wandlung vom Staatsbetrieb mit Gemeinwohlverantwortung zum privatwirtschaftlichen Konzernbetrieb mit Gewinnorientierung anschauen. Die Nachteile, die diese sozial und wirtschaftlich zentrale Infrastruktur und ihr Betriebspersonal dadurch erlitten hätten, seien „Legende“. Die langmütige Selbstironie von DB-Mitarbeitenden sei „betriebliche Übung“ geworden.
30 Jahre Arbeitszeitgesetz und Abschaffung Buß- und Bettag
Das Arbeitszeitgesetz war 1994 in Folge einer Europäischen Richtlinie erlassen worden. In dieser hieß es 1993: „Die Verbesserung von Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeit stellen Zielsetzungen dar, die keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürfen.“
1994, also im selben Jahr des Inkrafttretens des Arbeitszeitgesetzes, wurde auch beschlossen, den Buß- und Bettag für die Finanzierung der Pflegeversicherung zu streichen. Das „Bußtagsopfer“ der „kleinen Leute“ in Form von Mehrarbeit hatte keinen nachhaltigen Finanzierungseinfluss. Aber die Idee der Umwandlung von Ruhe- in Werktage lebt nach wie vor fort und sie wird wieder aufgewärmt. Etwa 45 Tagungsteilnehmende waren sich weitgehend einig, dass Errungenschaften im Arbeitszeitrecht nicht ohne erneute Anstrengungen zu halten oder bei hoher gesamtwirtschaftlicher Produktivität auszubauen sind.
Den Mammon nicht besänftigt: Sind neue „Bußtagsopfer“ nötig?
Der Ökonom Guntram Wolff forderte Ende 2023 im Handelsblatt zur Einstimmung auf das Superwahljahr 2024 konkret die Abschaffung weiterer zwei Feiertage, um eine „strukturelle Lücke“ in den Staatsausgaben zu füllen. Die auf sozialer und ökonomischer Betriebsblindheit basierende „Schuldenbremse“ im Grundgesetz ließ er angesichts des nötigen strategischen Wirtschaftswandels nahezu unhinterfragt stehen. Dabei wirkt sie als eine verheerende Investitions- und Handlungsbremse des Staates und ist zugleich der Beschleuniger von privaten Großinteressen auf den „neuen Märkten“ der sozial-ökologischen Transformation.
Mehr Zeitwohlstand: Gelebte Demokratie setzt Lebensperspektiven voraus
Die Atmosphäre auf der 10. Arbeitszeitkonferenz fiel angesichts des zunehmend gegenläufigen Arbeitszeitdiskurses insgesamt kämpferisch aus: Eine Bewältigung der zahlreichen Herausforderungen darf nicht einseitig zu Lasten des arbeitenden Rückgrats der Gesellschaft erfolgen – einschließlich der (familiären) Sorge- und Gemeinschaftsarbeit sowie des ehrenamtlichen Engagements einer zunehmend als sozialpolitische Lückenbüßerin vorgeschobenen Zivilgesellschaft! Wer die Lebensperspektiven dieser Mehrheit dem (Arbeits-)Markt überlässt, erweist der Verteidigung der gelebten Demokratie einen Bärendienst.
Das Jubiläums-Fazit des Studienleiters Frank Fehlberg: Wohlstand heißt nicht primär „Steigerung des Bruttosozialprodukts“. Wohlstand bedeutet, viel Zeit als Mensch für Menschen zu haben.
Eine Tradition des Ev. Zentrums Zinzendorfhaus ist das Filmfrühstück: Das Medienzentrum der EKM präsentiert hier in einer verlängerten Frühstückspause Filme aus dem Bestand zu einem aktuellen Thema. Am 20.03.2024 fand es bereits zum 47. Mal statt, nur diesmal mit einer kleinen Änderung. Diesmal habe ich (FSJlerin Annemarie) das Filmfrühstück organsiert und daraus mein FSJ-Projekt gemacht.
Das Thema lautete „Essstörung“. Ich habe mich bewusst für dieses etwas schwierige Thema entschieden, um meinen Mitmenschen dieses Thema etwas näher zu bringen. Zum Einstieg lief der Film „Reflejo“, ein animierter Kurzfilm, der ein kleines Mädchen zeigt, das nicht zufrieden mit sich selbst ist. Danach folgte der Film „90%“. In diesem Kurzfilm geht es um einen jungen Mann, der es anfangs schwer mit dem Essen hat, doch dann auf jemanden trifft, die ihn seine Sorgen für einen Moment vergessen lässt. Und abschließend habe ich den Film „Lilly“ vorgeführt, der die Auswirkungen schlechter Mitmenschen deutlich macht. Es nahmen 22 Personen aus dem Evangelischen Zentrum Zinzendorfhaus Neudietendorf teil.
Am 15. März lag das fiktive Örtchen Allersleben mal direkt auf der thüringisch-hessischen Grenze. Im Rahmen einer Fortbildung der Point Alpha Stiftung im Haus auf der Grenze zum Thema „Jung sein in Ost und West“ stand die Vorstellung der Methode „Allersleben. Ein Biografiespiel zum Aufwachsen in der DDR“ auf dem Programm. Das Spiel wurde in den vergangenen zwei Jahren an der Akademie in Zusammenarbeit mit dem Institut Spawnpoint aus Erfurt entwickelt. Gemeinsam mit Geschichtslehrer:innen und Interessierten aus Hessen und Thüringen wurde gespielt und über die Methode diskutiert.
„So laut gelacht wurde in diesem Seminarraum noch nie“, erklärte eine Mitarbeiterin der Gedenkstätte Point Alpha zum Abschluss. Aber darf man das? Lachen über das Aufwachsen in der Diktatur? Auf jeden Fall, fanden die Teilnehmenden. Denn wenn junge Menschen sich intensiv mit DDR-Geschichte beschäftigen sollen, die ihnen oft sehr weit entfernt von der eigenen Lebenswelt erscheint, ist es ohne Spaß kaum möglich, sie zu motivieren. Außerdem gibt es einen großen Unterschied zwischen einer spielerischen Auseinandersetzung, die Freude bereitet, und Auslachen. So finden sich in jeder neuen Spielrunde Anlässe für Gelächter und für eine ernsthafte Auseinandersetzung damit, wie das Leben in der Diktatur tiefgreifenden Einfluss auf die Biografien der Menschen hatte.
Erstaunlich viel Publikum war, angesichts des nicht leicht verdaulichen Themas, zum Augustinerfilmabend am 11. März im Luthersaal des Augustinerklosters zu Erfurt zusammengekommen. Diesmal ging es um die Chronik einer Krebserkrankung, die vom Zeitpunkt der Diagnose bis zum Moment des Sterbens aus der Perspektive der betroffenen Familie nachverfolgt wird.
Der mehrfach ausgezeichnete Film „Halt auf freier Strecke“ von 2011 unter der Regie von Andreas Dresen ist ein Spielfilm, der aufgrund der äußerst authentischen Spielweise, der Auswahl der Darsteller:innen und des offenen Drehbuchs mit vorab kaum festgelegten Dialogen nicht auf dramatische Schockmomente oder romantisierende Erzählung setzt, sondern vielmehr dokumentarischen Charakter hat, ohne faktenüberladen zu wirken. Quasi hautnah bekommt man das emotionale Auf und Ab der Krankheitsbewältigung und die Auswirkungen auf den Familienalltag des Ehepaars und der beiden Kinder mit. Die großen Fragen bleiben dabei nicht außen vor: Wie sagt man es den Kindern, dass der Vater sterben wird, wie den eigenen Eltern? Muss man sich als Angehöriger zusammenreißen oder darf man die eigene Traurigkeit und Wut zeigen?
Beim anschließenden Gespräch ging es zunächst um Aspekte des Films, die die Zuschauenden besonders berührt haben oder mit denen sie persönliche Erfahrungen verbinden konnten. Angesprochen wurde unter anderem die Eingangsszene, in der das Ehepaar vom Arzt die Diagnose des inoperablen Gehirntumors erklärt bekommt, sowie spätere Momente, in denen die Betroffenen von medizinischen, therapeutischen und seelsorgerlichen Fachkräften mal besser, mal schlechter aufgefangen werden. Aber auch die Ermöglichung der häuslichen Pflege und der Sterbebegleitung zu Hause blieb dem Publikum sehr eindrücklich in Erinnerung.
Christine Mosbach und Marcus Sternberg vom Thüringer Hospiz- und Palliativverband, die der Einladung als Gesprächspartner für diesen Augustinerfilmabend gefolgt waren, betonten die Wichtigkeit der Authentizität im Umgang mit Schwerkranken und Sterbenden, gerade angesichts der eigenen Hilflosigkeit und Überforderung. Zu sagen, dass einem die Worte fehlen, kann für die zwischenmenschliche Beziehung wertvoller sein als eine gutgemeinte Floskel oder zur Schau gestellte Stärke.
Die Veranstaltungsreihe Augustinerfilm ist eine Kooperation des Medienzentrums der EKM, des Augustinerklosters zu Erfurt und der Evangelischen Akademie Thüringen. Der nächste Termin findet am 18. November statt.
Wie passen politische Bildung und die Video-App TikTok zusammen? Im Digitalen Bildungshaus der EKM drehte sich am Mittwoch alles um diese Frage und das Interesse daran war groß. Bis zu zwei Stunden täglich swipen sich vor allem junge Menschen durch die Kurzvideos, verteilen Herzchen und kommentieren. Zunehmend entdecken auch politische Akteure die App für sich. Besonders erfolgreich sind hier populistische und rechtsextreme Akteure – in Deutschland namentlich die AfD, deren TikTok-Reichweite die aller anderen Parteien zusammen übersteigt. Dies liegt zum einen daran, dass sie hier aktiver ist. Zum anderen aber auch daran, dass emotionalisierende, prägnante Botschaften auf der Plattform am besten funktionieren.
Politikwissenschaftler und TikTok-Experte Marcus Bösch von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg fasste fünf Besonderheiten von TikToks zusammen. Sie zeichnen sich durch eine hohe Dichte an emotionalen Spitzen aus („High density“). In jedem TikTok steckten viele, schnell aufeinanderfolgende Hahas und Uhhs, erklärte Bösch. Die zweite Besonderheit sei das sogenannte „Layered Storytelling“, also viele Schichten oder Bedeutungsebenen, die miteinander verwoben werden und so in kürzester Zeit viele Informationen, Emotionen und Botschaften vermitteln können. Drittens zeichneten sich TikToks durch „Realness“ oder Authentizität aus. In Abgrenzung vor allem zu Instagram gehe es gerade nicht um die perfekte Inszenierung. Viertens fänden sich in TikTok-Videos häufig Memes, also popkulturelle Verweise, die über den geteilten Wissensvorrat der Zielgruppe funktionieren. So können Themen oder Deutungsrahmen gesetzt werden, ohne sie auszuführen. Eine große Rolle spielten dabei auch Emojis, die zum Teil mit festen Bedeutungen oder Codes belegt sind. So steht ein blaues Herz für Zustimmung zur AfD. Als letzte Besonderheit nannte Bösch „Vibes“, die sich als Momente audiovisueller Eloquenz umschreiben ließen und sich aus Bild, Text, Sound und Bewegung zusammensetzten. Nicht jedes dieser fünf Elemente finde sich in jedem Video. Die TikToks, die auf der Plattform viral gingen, zeichneten sich allerdings genau dadurch aus. Durch die dichte Machart mit den vielen Bedeutungsschichten und popkulturellen Querverweisen schlussfolgerte Marcus Bösch: „TikToks passieren im Kopf“.
León Eberhardt von der Plattform politikneugedacht.de erklärte den Teilnehmenden im Anschluss, wie politische Bildung auf TikTok gelingen kann und gab praxisnahe Tipps von der technischen Ausstattung bis zur Gestaltung. Jedes TikTok werde erst einmal einer Testgruppe von 300 User:innen angezeigt – ganz gleich, wie klein oder groß der absendende Account. Je nach Reaktion dieser Zielgruppe, werde das Video dann weiter angezeigt, ginge viral oder auch nicht. Das unterscheide TikTok von anderen Plattformen, da die algorithmische Kuratierung die Inhalte bestimme und weniger die bewusste Auswahl der Nutzer:innen. „Die Bewertung, ob ein Video gut ist, ist viel ehrlicher und radikaler als auf anderen Plattformen“, berichtete León Eberhardt.
„Ich habe jetzt viel mehr Wissen und weniger Berührungsängste“, dankte eine Teilnehmerin am Ende für die Veranstaltung. Trotz aller datenschutzrechtlichen Bedenken und hohen Anforderungen an popkulturelles Wissen und audiovisuelle Eloquenz: Politische Bildung gehört auf TikTok, wenn sie ihre Zielgruppe erreichen will.