Evangelische Akademie Thüringen

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Den Krieg beenden

Foto: © shutterstock_evan_huang
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„Ich hab‚ geträumt, der Krieg ist vorbei“: Diese Liedzeile von Ton Steine Scherben gab dem dritten Online-Studientag der Evangelischen Akademien zur Friedensethik am 20. März die Überschrift. Und tatsächlich waren der Wunsch und die Sehnsucht nach einem Ende des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine groß. Nur: Wie dieser Krieg ein Ende finden kann, darüber gingen die Meinungen teils weit auseinander.

Im Zwiegespräch Theologie interpretierte Prof. Dr. Klara Butting die Geschichte von David und Goliath eingangs überraschend rüstungskritisch, als Ermutigungsgeschichte in völliger Asymmetrie. David besiege den hochgerüsteten Goliath nur mit einer Steinschleuder, so die Leiterin des Zentrums für biblisch-politische Bildung Woltersburger Mühle. Daran zeige sich, dass immer mehr Rüstung und immer mehr Waffen nicht der Weg seien, auch nicht im Ukraine-Krieg. Scharfmacherei führe nur in eine Eskalation, die in einen 3. Weltkrieg münden könnte. Kirche müsste sich für einen anderen Weg, für einen sofortigen Waffenstillstand, für Verhandlungen und ein Ende des Tötens einsetzen. Dagegen erhob sich unter den Teilnehmenden Widerspruch. Der naheliegende war: Auch David kämpfe mit einer Waffe und töte Goliath.

Die polnische Theologin PD Dr. Ursula Pekala betonte dagegen: Es handle sich um einen imperialistischen Angriffs- und Vernichtungskrieg Russlands. Die Ukraine habe daher das Recht zur Selbstverteidigung und ihre militärische Unterstützung sei ethisch legitim. Ein Stopp der Waffenlieferung berge die Gefahr eines verzögerten 3. Weltkriegs, da vorschnelle Konzessionen an Putin diesen ermutigen könnten, seinen imperialistisch-aggressiven Kurs weiter zu verfolgen. Zudem warnte die Professurvertreterin für Kirchen- und Theologiegeschichte am Institut für Katholische Theologie der Universität des Saarlandes davor, die Last der Verantwortung hauptsächlich auf das Opfer, die Ukraine zu verschieben. Aus ihrer Forschung zur Versöhnung wisse sie, dass von den Opfern gern verlangt werde, sie sollten vergeben und sich versöhnen.

Im Zwiegespräch Völkerrecht wurde zunächst die Rolle der UNO thematisiert. Professor Dr. Hans-Joachim Heintze (Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht der Ruhr Universität Bochum) führte aus: Das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten werde in der UNO zwar betont, aber durch das Vetorecht der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, zu denen die USA, Russland und China gehören, durchbrochen. Russland und China arbeiteten zugleich im Verbund der BRICS-Staaten eng zusammen. So verlagerten sich die Weltgewichte weg von der UNO.

Arie Mora (Anwalt der Nichtregierungsorganisation Ukrainian Legal Advisory Group (ULAG), Ukraine) schilderte, aus Kiew zugeschaltet, anschließend die positiven Reaktionen auf den Haftbefehl gegen Putin durch den Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag. Dieser sei ein erster Schritt. Weitere Untersuchungen würden zu weiteren Haftbefehlen führen. Auch Hans-Joachim Heintze begrüßte den Haftbefehl gegen Putin. Die Entscheidung dafür sei aber auch deswegen so schnell getroffen worden, weil der IStGH damit einem befürchteten Bedeutungsverlust entgegenwirken wollte. Einig waren sich die beiden Völkerrechtsexperten darin, dass es einen eigenen Strafgerichtshof geben müsse, der sich mit dem Aggressionskrieg Russlands beschäftige. Der IStGH habe dazu nicht die Mittel und Kompetenzen. Einig waren sich beide auch in der Notwendigkeit des Zusammenwirkens von ukrainischer und internationaler Gerichtsbarkeit zur Verfolgung von Kriegsverbrechen, die in der Form eines Hybrid-Tribunals diskutiert wird.

Eine gewisse Differenz gab es hingegen in der Einschätzung der Auswirkung des Haftbefehls gegen Putin auf mögliche Verhandlungen. Hans-Joachim Heintze meinte, der Haftbefehl erschwere eine Verhandlungslösung. Arie Mora sagte hingegen: Die eigentliche Frage sei, wann Russland gewillt sei in Verhandlungen einzutreten. Wenn es Verhandlungen gäbe, dann sei es egal, welchen Status eine Person habe.

Im Zwiegespräch Politik wiederholte Professor Dr. Johannes Varwick (Institut für Politikwissenschaft, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) seine bekannten Positionen: Eine weitere Eskalation sei zu vermeiden. Es müsse ein Arrangement geben, mit dem beide Seiten leben könnten. Wir befänden uns in einem Kalten Krieg 2.0, der in der Ukraine heiß sei. Doch sei die Ukraine ein Sonderfall. Dieser Krieg sei daher einzufrieren. Eine Verhandlungslösung sei die einzige Möglichkeit. Dabei müsse ein Teil der russischen Sicherheitsinteressen akzeptiert werden.

Dr. Andrei Lavruhin (Belarusian Institute for Strategic Studies (BISS)), ging auf diese Argumentation kaum ein. Sein Augenmerk war auf etwas anderes gerichtet. Bis Ende des Jahres könne es zwar eine Art von Frieden geben, so der aus Vilnius zugeschaltete Wissenschaftler. Aber dieser Krieg würde wieder und wieder kehren, falls die Militarisierung der russischen Gesellschaft so weiter geht. Die aktive Phase des Kriegs sei zu stoppen. Die latente Phase aber sei das Problem. Nach Putin käme dann ein neuer Putin. Es drohe die Gefahr eines hochmilitarisierten Landes mit Atomwaffen, in dem sich revanchistische Stimmungen weiter verstärkten. Solange Russland nicht zu einer selbstkritischen Haltung gegenüber seiner eigenen Kultur finde, gäbe es keine Chance auf einen dauerhaften Frieden in Europa.

Die Zwiegespräche wurden im Chat durch die Teilnehmenden kommentiert. Ihre Äußerungen flossen in Form von Fragen an die Diskutanten ein. Anschließend bestand die Möglichkeit zu einem freien Austausch. Gerahmt wurde der Studientag von einem geistlichen Wort zu Beginn und einem Fürbittgebet mit Segensbitte am Schluss.

Die Veranstaltung wurde aufgezeichnet und wird zeitnah online zur Verfügung gestellt. Wie bei den vorhergehenden Studientagen zur Friedensethik wird es eine epd-Dokumentation geben.