Evangelische Akademie Thüringen

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Erzwungenes Verschwinden von Dingen und Erinnerungen - kann das gut ausgehen?

  • Die Hardcoverversion und die Taschenbuchausgabe unterscheiden sich von der Aufmachung sehr, so wie auch der deutsche Buchtitel stark vom Original abweicht. Foto: (c) Mock/EAT
    Die Hardcoverversion und die Taschenbuchausgabe unterscheiden sich von der Aufmachung sehr, so wie auch der deutsche Buchtitel stark vom Original abweicht. Foto: (c) Mock/EAT
  • Hintergrundinformationen zur Autorin und dem japanischen Originaltitel gab Dr. Ulrike Wollenhaupt-Schmidt. Foto: (c) Mock/EAT
    Hintergrundinformationen zur Autorin und dem japanischen Originaltitel gab Dr. Ulrike Wollenhaupt-Schmidt. Foto: (c) Mock/EAT

In Yoko Ogawas Roman „Insel der verlorenen Erinnerung“, 1994 im japanischen Original und 2020 in deutscher Übersetzung erschienen, geht es um Dinge, deren Existenz von einer ominösen Regierung verboten werden und die deshalb verschwinden müssen, auch in der Erinnerung der Menschen. Was anfänglich noch verschmerzbar scheint, so es sich um Gegenstände wie Parfum oder Hüte handelt, wird zunehmend existentiell bedrohlich, bis hin zum Verlust von Jahreszeiten und sogar Körperteilen.

13 Personen diskutierten beim Literarischen Salon unter dem Motto „WeltGeblickt!“ am Mittwoch, den 19. Februar in der Buchhandlung Contineo in Erfurt die Interpretationsmöglichkeiten und Schlüsse, die man aus diesem Roman ziehen kann. Sie verglichen den Text nicht nur mit anderen Werken aus dem dystopischen Genre – wie etwa George Orwells „1984“ – sondern fanden auch Referenzen auf literarische und künstlerische Strömungen wie den Magischen Realismus oder direkte Anspielungen, z.B. auf das Tagebuch der Anne Frank.

Über allem jedoch hing die beklemmende Frage: Wie geht eine Bevölkerung mit sich zuspitzenden totalitären Verhältnissen um? Ab wann wird Widerstand schier unmöglich, und bis zu welchem Punkt merkt man vielleicht noch nicht einmal, dass die Verluste zur unumkehrbaren Zersetzung führen?

Bei allen konkreten Anspielungen – sowohl aus der japanischen Kultur, als auch auf deutsche Geschichte und den Holocaust, konnte doch festgehalten werden, dass die Geschehnisse in Ogawas Erzählung universalistisch zu verstehen sind: Der Aufbau eines repressiven Staatssystems und der zunehmende Fatalismus der Bürger:innen bis hin zur völligen Aufgabe von Handlungsmöglichkeiten und individuellen Rechten gehen schleichend, aber stetig einher, und sie können überall auf der Welt geschehen, wo nicht rechtzeitig Einhalt geboten wird. Aktueller könnte die Lehre aus dieser Lektüre wohl kaum sein.

Durch den Abend führten Dr. Ulrike Wollenhaupt-Schmidt, die mit Hintergründen und Details zur Autorin, zur japanischen Sprache und Kultur die Diskussion bereicherte, und Dr. Sabine Zubarik, Veranstalterin des Literarischen Salons. Kooperationspartnerin für die Veranstaltungsreihe ist Christiane Mock, Inhaberin der Buchhandlung Contineo in Erfurt.

Der nächste Salon am 23. April widmet sich dem Roman „Ein Sommer in Prag“ von der tschechischen Autorin Zdena Salivarová, zu dem wir schon heute herzlich einladen!