Let´s talk about *** and politics!
Sex und Politik. Gleich zwei Themen, über die Jugendliche nur sehr ungern mit Erwachsenen sprechen. Trotzdem oder gerade deshalb fanden sich bei der Tagung „Let´s talk about Sex and Politics – Politische Bildung und Sexuelle Bildung im Gespräch“ viele Menschen aus Bildungs- und Jugendarbeit zusammen, die über die Schnittmenge sprechen wollten. Dabei war die fachliche Bandbreite der Teilnehmenden groß: von stationärer Jugendhilfe bis offene Jugendarbeit, von Schulsozialarbeit bis Kindertagesstätte und von Kirche bis freiberufliche Trainer:innen waren viele Arbeitsbereiche vertreten.
Im Eröffnungsvortrag gab Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voß vom Institut für Angewandte Sexualwissenschaft der Fachhochschule Merseburg einen ausführlichen Überblick zur empirischen Befundlage zur Sexualität junger Menschen. Dabei analysierte er auch die Entwicklungen der vergangenen Jahre vor dem Hintergrund von Digitalisierung und Pluralisierung. Entschieden widersprach er dem Klischee, dass Jugendliche immer früher sexuell aktiv seien. Liebe und Partnerschaft ist Jugendlichen heute viel wichtiger als in vergangenen Jahrzehnten und viele warten auf den Richtigen oder die Richtige. „Jugend verwahrlost nicht, sondern ist sehr auf Grenzwahrung und sexuelle Identität bedacht, womit sie Erwachsene schon mal überfordern können,“ so Voß. Dennoch sei die sexuelle Bildung – vornehmlich in Rahmen der Schule vorzufinden – vor allem auf negative Aspekte von Sexualität bedacht. Da ginge es vornehmlich um den Schutz vor Krankheiten oder Schwangerschaftsverhütung. Individuelle Bedürfnisse und Identitätsentwicklung spielten weniger eine Rolle. Auch ginge es viel zu selten um sexualisierte Gewalt, obwohl fast die Hälfte aller jungen Menschen damit Erfahrungen habe.
Dr. Toni Simon, Fachdidaktiker für das Grundschulfach Sachkunde an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, spannte in seinem Vortrag den Bogen zur politischen Bildung. Beide Fachbereiche hätten einen emanzipatorischen Kern und sollen Selbstbestimmung in einer Pluralen Gesellschaft bei gleichzeitiger Verantwortungsübernahme für andere ermöglichen. „Fragen der Sexualität waren und sind Gegenstände der Politik und des Politischen“, stellte Simon klar. Beispiele dafür fanden sich sowohl in seinem wie auch im Vortrag von Hein-Jürgen Voß viele: Ob der Umgang mit Künstlicher Intelligenz, mit der pornografische Inhalte erstellt werden, die Frage nach einem All-Gender-Klo in der Schule oder auch das Suchen nach Konzepten, um mit rechtsextremen Jugendlichen zu Geschlechterstereotypen zu arbeiten – die Verbindung von gesellschaftspolitischer Debatte und Sexualität liegen auf der Hand. Somit sorgten die Vorträge für einen regen Austausch unter den Teilnehmenden.
Dass die Verbindung von Sex und Politik auch kein gegenwärtiges Phänomen ist, zeigte die Historikerin Flora Hochschild am zweiten Tag. In ihrem Vortrag zeigte sie anhand eines anonymen Gedichts aus dem 17. Jahrhundert, wie Sexualität kunstvoll verhandelt und dabei so manches Tabu der Zeit gebrochen wurde. Solange die Konventionen der Kunst eingehalten wurden, war der Freiraum da, auch ins Perverse Abgleitende zu veröffentlichen. In der Diskussion wurden schnell die Parallelen ins Jetzt gefunden: Nichts anderes zeigt sich in Diskussionen um Schlager- oder Rammstein-Texte, in denen es um sexualisierte Gewalt geht. Die Melodie ist Mainstream, der Text kann mit Tabus brechen. Auch weitere benannte Phänomene wurden in der Diskussion des Vortrags als allzu bekannt beschrieben. So ermöglicht nur eine gewisse Macht die Möglichkeit, Freiräume in der eigenen Sexualität auszuleben. Hochschild beschrieb dies anhand der höfischen Kultur des Barock. Doch auch heute gehen Freizügigkeit und Macht oft Hand in Hand – zum Beispiel bei bekannten Musikern. „Queeren Menschen wird häufig Macht unterstellt, die sie selbst gar nicht so wahrnehmen“, berichtete Flora Hochschild aus ihrem eigenen Erleben. Schon allein die Tatsache, sich Freiräume zu nehmen, führe offenbar zu dieser Zuschreibung.
Zum Abschluss der Tagung diskutierten die Teilnehmenden dann in einem Mini-Barcamp eigene Erfahrungen und Methoden. So entwickelten sie ad hoc gemeinsam Formatideen, lernten voneinander in der Erstellung von Schutzkonzepten und tauschten in der „Methoden-Schlacht“ Materialien und Methoden aus. Themen und Gründe gibt es also genügend, um mit jungen Menschen über Sex und Politik ins Gespräch zu kommen. Alle Teilnehmende nehmen viele Impulse und Ideen mit, wie das gelingen kann.
Die Tagung war eine gemeinsame Veranstaltung mit dem Kinderschutzbund – Landesverband Thüringen und dem Kinder- und Jugendpfarramt der Ev. Kirche in Mitteldeutschland.