Evangelische Akademie Thüringen

‹ alle Blogartikel anzeigen

Von Lügen, Distelfinken und Niemalsländern: Literarischer Garten in Neudietendorf

  • Im Pavillon des Zinzendorfgartens wurden neue Lesefunde vorgestellt. Foto: (c) Zubarik/EAT
    Im Pavillon des Zinzendorfgartens wurden neue Lesefunde vorgestellt. Foto: (c) Zubarik/EAT
  • Mit dabei: Hanna und Rebecca, die beiden derzeitigen Praktikant:innen der EAT. Foto: (c) Zubarik/EAT
    Mit dabei: Hanna und Rebecca, die beiden derzeitigen Praktikant:innen der EAT. Foto: (c) Zubarik/EAT

Die Idee des Literarischen Gartens nahm 2020 in Neudietendorf ihren Anfang; seitdem ist die Veranstaltung auch in zahlreichen anderen Orten zu Gast gewesen, aber jeden Sommer findet mindestens ein Termin im Garten des Zinzendorfhauses in Neudietendorf statt. Einige der Teilnehmenden sind Stammpublikum und jedes Jahr dabei, andere kommen neu dazu und einige reisen sogar von weither an, wie bei der Runde am 13. August, zu der Teilnehmerinnen aus Trier, Mühlhausen, Gotha, Erfurt und der näheren Umgebung kamen.

Trotz hoher Temperaturen von über 30 Grad entwickelten sich angeregte Gespräche über die mitgebrachten und vorgestellten Bücher. Da ging es mit Marc-Uwe Klings brandneuem Thriller Views um Fake News, KI-gesteuerte Sprachnachrichten, computergenerierte Videos und ganz medienkritisch um die Frage, was eine Welt mit uns macht, in der wir keinen Bildern und Texten mehr trauen können.

Ebenso aktuell lagen die 10 Thesen von Jörn Leonhard Über Kriege und wie man sie beendet (2023) auf dem Tisch; die darin beschriebenen Beispiele aus der Geschichte, wie es zu Friedensverträgen kam oder warum diese scheiterten, regen zum Nachdenken über gegenwärtige Kriegssituationen an.

Eine Neuentdeckung war für alle die Autorin Anna Tüne und ihr Romanerstling Von der Wiederherstellung des Glücks, der die Kindheit eines deutschen Mädchens in Frankreich wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg erzählt, das durch ein bizarres Besiedlungsprogamm mit seiner aus Posen stammenden Familie in ein verlassenes und von den deutschen Besatzern verwüstetes Dorf verschlagen wird. Auch mit diesem Titel ließen sich Bezüge zu derzeitigen Schicksalen von Flucht, Neuansiedlung und konfliktreichen Eingewöhnungsphasen herstellen.

Weiter auf dem Programm standen Der Distelfink der US-amerikanischen Autorin Donna Tartt, der 2013 im Original unter dem Titel The Goldfinch erschien, 2014 den Pulitzer-Preis erhielt und 2019 unter der Regie von John Crowley verfilmt wurde. Tartts dritter Roman spielt in der Gegenwart und zeichnet sich durch einen äußerst detail- und bildreichen Stil aus, der auch in der gelungenen deutschen Übersetzung eindrücklich zur Geltung käme – so die Leserin.

Vom britischen Autor Neil Gaiman, der vielen aus dem Science Fiction- und Fantasy-Genre bekannt ist, wurde das Buch zur Miniserie Neverwhere, deutsch übersetzt mit Niemalsland (1996) vorgestellt und wegen seines Vintage-Stils, der witzigen Wortwahl und der mystisch-krimihaften Ästhetik eines „schönen Albtraums“ als sehr unterhaltend bewertet.

Den Reigen der englischsprachigen Literatur beendete Kimberly Belles Thriller Solange du lügst (2018, im Original The Marriage Lie, 2016), der sich fesselnd und mit einem überraschenden Ende um die Frage dreht: Was ist, wenn der Partner ein ganz anderer ist als er vorgibt zu sein und ein Doppelleben führte, von dem man nicht die geringste Ahnung hatte?

Am Ende des gemeinsamen Abends im Gartenpavillon stand die vorgelesene Kurzgeschichte „Der wundersame Elektroapparat des Frank German“ aus dem Erzählband Antrag auf ständige Ausreise – und andere Mythen der DDR (2007) von Jakob Hein, in der das Scheitern eines exquisiten Exportschlagers im Laufe der Produktionsoptimierung – frei erfunden, aber ungeheuer plausibel und nicht minder komisch – skizziert wird.


Der Literarische Garten ist eine Veranstaltungsreihe, die an verschiedenen Orten in Thüringen, vorwiegend im Sommer im Freien, stattfindet. Gerne besuchen wir im nächsten Jahr auch Ihre Gemeinde oder Einrichtung – nehmen Sie bei Interesse Kontakt mit uns auf!