Wie es die Stadt mit der Religion hält - und umgekehrt
Anlass zur Doppelveranstaltung Religion und Stadt – Neue Blicke auf das alte Erfurt gab das im letzten Winter erschienene gleichnamige Buch von Prof. Dr. Jörg Rüpke, Religionswissenschaftler und stellvertretender Direktor des Max-Weber-Kollegs für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien in Erfurt.
Im ersten Teil, am Abend des 28. August, kamen über 30 Personen zusammen, um beim Augustinerdiskurs sowohl von Forschungsprojekten zur wechselseitigen Beziehung von Urbanität und Religion zu erfahren, als auch aktuelle Fragen zu diskutieren. Nach der Begrüßung durch Dr. Franziska Wittau, neue Leiterin der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, und einer thematischen Einführung durch Akademiedirektor Dr. Sebastian Kranich, stellte Prof. Dr. Jörg Rüpke Hauptthesen aus dem wissenschaftlichen Kontext, in dem sein Buch entstanden ist, vor. Deutlich wurde dabei, wie stark stadt- und religionsgeschichtliche Entwicklungen miteinander verquickt sind und sich ein gutes Miteinander im urbanen Lebensraum auf die wechselseitigen Verhältnisse von (unterschiedlichen) Religionsgemeinschaften und Akteuren der Stadtpolitik stützt.
Anschließend berichtete Prof. Dr. Daria Pezzoli-Olgiati, Inhaberin des Lehrstuhls für Religionswissenschaft und Religionsgeschichte an der LMU München und derzeit Fellow am Max-Weber-Kolleg in Erfurt, von Ihrem Forschungsprojekt zu Utopien und Imaginationen von Stadt, in dem sie unter anderem Margaret Atwoods dystopischen Roman The Handmaid’s Tale unter dem Aspekt von Religion und Urbanität untersucht.
Während der Podiumsdiskussion kamen weitere Bezüge zur Sprache, etwa die Bedeutung von Friedhöfen im städtischen Raum, damals und heute. Aber auch Aspekte wie religiöser Tourismus und die Nutzung von Kirchenräumen für kulturelle Zwecke wurden erötert, sowie die grundsätzliche Frage, warum der Blick in die Vergangenheit wertvoll ist, gerade dann, wenn es um gegenwärtige Debatten zu Toleranz, Zusammenarbeit und Verständnis im gesellschaftlichen Gefüge geht.
Zwei Tage später traf sich bei etwas milderen Temperaturen ein ähnlicher Teilnehmerkreis zum Stadtspaziergang mit Prof. Dr. Jörg Rüpke, um an konkreten Orten dessen Überlegungen nachzuvollziehen. So wies er an der Georgenburse darauf hin, dass es auch Stadtbewohner:innen gab und gibt, die sich hier nur vorübergehend aufhalten, wie der dort wohnende Martin Luther. Als mittelalterlicher Universitätsstandort hatte Erfurt viele Studenten als temporäre Bewohner, zu denen außerdem die Kaufleute zählten, die den Handelsknoten Erfurt besuchten.
Wem gehört die Stadt? An einem für Stadtführungen eher ungewöhnlichen Ort, vor dem Predigerkindergarten, wurde diese Frage gestellt und im Anschluss kontrovers diskutiert. Sind es die Reichen? Die Kirche? Und wer bestimmt das Stadtbild? Wer bewohnt außerdem die Stadt? Im Mittelalter wohnten die Toten direkt bei den Kirchen, wie an der Allerheiligenkirche. Aus Gründen der Hygiene aus dem Stadtbereich verbannt, ziehen sie nun temporär wieder in die Stadt, wie zum Beispiel ins Kolumbarium in der Allerheiligenkirche und der Magdalenenkapelle.
Die Stadt als Ort der Macht und Kontrolle wurde vor dem Rathaus am Fischmarkt vor Augen geführt. Zum Ende der Führung, die inspirierende Gespräche mit sich brachte, kam Prof. Rüpke angesichts der zahlreichen Menschen, die in der Nähe der alten Mikwe verweilten, auf die bereits am Mittwoch formulierte Idee des atmosphärischen Charakters der Stadt zurück.
Beide Veranstaltungen geben Anlass, noch weiter – und auch über Erfurt hinaus – über die Stadt und den Einfluss der Religionen dort zu reflektieren.