Evangelische Akademie Thüringen

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Algorithmen als neue Feinde der Kunstfreiheit?

Dr. Maik Weichert von der Band "Heaven Shall Burn" sprach online mit den Teilnehmenden über Algorithmen und Kunstfreiheit. Foto: © EAT
Dr. Maik Weichert von der Band "Heaven Shall Burn" sprach online mit den Teilnehmenden über Algorithmen und Kunstfreiheit. Foto: © EAT

Algorithmen begleiten uns an vielen Stellen im Alltag. Sei es bei der Suche nach Themen, Bildern oder Produkten in Internetsuchmaschinen, bei der Routenplanung im Navigationssystem oder auch nur als Anleitung zum Aufbau eines Regals. Ein Algorithmus ist zunächst einmal eine Handlungsanweisung zur Lösung eines Problems, die schrittweise abläuft und endlich ist. Im Internet sorgen Algorithmen z.B. dafür, welche Suchergebnisse oder Vorschläge zu Videos oder auch Songs auf Plattformen wie YouTube oder Spotify angezeigt werden. Was macht dies mit dem Verständnis von Kunstfreiheit? Inwiefern beeinflussen Algorithmen Künstlerinnen und Künstler in ihrem Schaffen, wenn z.B. ein Song nach wenigen Sekunden weggeklickt wird, weil das Intro zu lang war? Wie diktieren Aufmerksamkeitsstrategien und letztlich Vermarktungsmöglichkeiten die Strukturen von Musik, Filmen und anderen kreativen Machwerken?

Mit diesen Fragen beschäftigte sich der 5. Netzpolitische Fachtag „Algorithmen vs. Kunstfreiheit“ am 21. Oktober 2020, der erstmals online stattfand. Der Fachtag greift jedes Jahr eine Fragestellung zum Thema Digitalisierung auf und lädt zum Diskutieren und Überlegen ein, wie die digitale Gesellschaft gestaltet werden kann und sollte.
Mit einem kreativen Einstieg waren die Teilnehmenden in diesem Jahr zunächst eingeladen, bekannte Gemälde nach Farbe und Wert zu ordnen, um so die Funktion eines simulierten Sortieralgorithmus nachzuempfinden.

In einem Impuls kam Dr. Maik Weichert, Jurist und Gitarrist der Band Heaven Shall Burn, mit den Teilnehmenden anschließend über rechtliche Aspekte von Kunstfreiheit und seine Erfahrungen mit Algorithmen im Kunstbereich und -markt ins Gespräch. Für Kunstschaffende haben Algorithmen dort einen starken Einfluss: Musik und Songs müssen ein individualisierbares Angebot sein, auf die Nutzerinnen und Nutzer und ihre Aufmerksamkeit zugeschnitten, um erfolgreich zu sein. Im Hinblick auf die Kunstfreiheit bedeute das beispielsweise, dass eine Band sich schon bei der Entwicklung eines Songs Gedanken um dessen Länge und spätere Vertriebsplattform machen müsse. Um in Suchlisten und Vorschlägen einer Plattform weit oben angezeigt zu werden, gehe es zudem für ein digitales Angebot auch weniger um die Anzahl an Klicks. Ausschlaggebender sei die Zahl und Interaktion der Follower, die ein Kanal oder Künstlerinnen und Künstler haben.

Oftmals werden Funktionsweisen von Algorithmen dabei zunehmend undurchsichtiger: „Algorithmen sind wie moderne Alchemie“, sagt Maik Weichert. Vieles komme bei ihnen zusammen und man könne manchmal nicht mehr sagen, was letztlich das Ergebnis sein werde. Dem stimmte in der Diskussion auch einer der Teilnehmenden zu: „[Erstens] weiß man ja gar nicht mehr, nach welchen Kriterien da irgendwas sortiert oder gefiltert wird und [zweitens] sind die Sortierungen/Filter oder was auch immer nur so gut wie die Daten, die dem Ganzen zu Grunde liegen.“

Eine Aufzeichnung des Impulses von Maik Weichert steht demnächst auf dem YouTube-Kanal der Akademie zum Nachschauen zur Verfügung.
Der Netzfachtag war eine gemeinsame Veranstaltung der Evangelischen Akademie, der Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen und der Jugendbildungsstätte Junker Jörg.