Evangelische Akademie Thüringen

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„Den fahlen Abend überstrahlen“ – Borchert und Bonhoeffer in der Jakobskirche Weimar

  • Christoph Bernewitz gestaltete den Abend musikalisch mit E-Gitarre und Songs zu Borchert-Texten. Foto: © Wuttke/EAT
    Christoph Bernewitz gestaltete den Abend musikalisch mit E-Gitarre und Songs zu Borchert-Texten. Foto: © Wuttke/EAT
  • Prof. Dr. Hans-Jürgen Benedict beleuchtete in seinem Vortrag Borcherts Zugang zur Gottesfrage. Foto: © Wuttke/EAT
    Prof. Dr. Hans-Jürgen Benedict beleuchtete in seinem Vortrag Borcherts Zugang zur Gottesfrage. Foto: © Wuttke/EAT

Kein „Tor!“-Schrei war am Abend des EM-Spiels Deutschland gegen England in Weimar zu hören. Doch auch in der Jakobskirche ging es beim Borchert-Abend am 29. Juni zunächst um Fußball. Akademiedirektor Dr. Sebastian Kranich begrüßte mit Worten aus Wolfgang Borcherts Erzählung „Die lange lange Straße lang“:

„Hin und wieder schrein sie los. Links auf dem Fußballplatz. Rechts in dem großen Haus. Da schrein sie manchmal los. Und die Straße geht da mitten durch. Auf der Straße geh ich. Ich bin Leutnant Fischer. Ich bin 25. Ich hab Hunger. Ich komm von Woronesch.“

Auch Prof. Dr. Hans-Jürgen Benedict begann seinen Vortrag mit jener Passage, in der abwechselnd „Tor“ – beim Pokalspiel – und „Barrabas“ – bei der Matthäuspassion in der Kirche – geschrien wird. Sie endet mit den Worten: „Begraben ist die Infantrie unterm Fußballplatz, unterm Fußballplatz“.

Borcherts beißende Kritik an Hoch- und Massenkultur, in der es weiterging als sei nichts gewesen – bis zum „wir sind wieder wer“ beim WM-Sieg 1954 und darüber hinaus, bildete den Auftakt zu einem konzentrierten und tiefgründigen Abend.

Anlass des Abends war zum einen der 100. Geburtstag des Dichters, zum anderen seine dreimonatige Zeit im Sommer 1941 in der Kaserne Weimar-Lützendorf, in „einem der schönsten Zuchthäuser des Dritten Reiches“, wie Borchert offen auf einer Postkarte schrieb.

Prof. Benedict stellte Borcherts Auseinandersetzung mit der Gottesfrage in den Mittelpunkt seines Vortrags. Und er kontrastierte sie mit Bonhoeffers Auseinandersetzung. Beiden sagten traditionelle Redeweisen angesichts des NS-Schreckens kaum mehr etwas. Beide erlebten Gott als ohnmächtig und schwach. Und beide suchten dennoch Hilfe und Halt. Der Theologe Bonhoeffer fand diesen im mitleidenden Gott. Der kriegstraumatisierte Borchert aber konnte in Gott, dem „weinerlichen alten Mann“, keinen Halt finden.

Im Gespräch wurde gleichwohl jene religiöse Seite Borcherts deutlich, die man als mystisch oder als pantheistisch verstehen kann. Borchert findet „das Leben“ in einer Hundeblume. Selbst imaginiert er sich nach seinem Tod als leuchtende Laterne.

Eindrücklich gestaltete der Jazzmusiker Christoph Bernewitz den Abend mit Improvisationen und eigenen Songs nach Borchert-Texten. Zum Abschluss waren zwei geplant. Aber schon nach dem ersten der beiden war alles gesungen und gesagt:

„Wenn ich tot bin, / möchte ich immerhin / so eine Laterne sein, / und die müßte vor deiner Türe sein / und den fahlen / Abend überstrahlen.“