Evangelische Akademie Thüringen

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Die „Seuche Einsamkeit“ – epd-Dokumentation erschienen

Kein ausschließliches Problem der älteren Generation: Auch zunehmend jüngere Menschen fühlen sich einsam. Foto: pixabay
Kein ausschließliches Problem der älteren Generation: Auch zunehmend jüngere Menschen fühlen sich einsam. Foto: pixabay

„Die Kirche hat in dieser Zeit Hunderttausende Menschen allein gelassen. Kranke, Einsame, Alte, Sterbende“, sagte die ehemalige Thüringer Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht Mitte Mai. Damit erntete sie heftigen Protest. Wenngleich ihr Vorwurf allzu pauschal und die Adressatin nicht unbedingt die richtige war, so berührte er doch einen schmerzhaften Punkt: Das einsame Sterben in Zeiten von Corona und die auf die Dauer unerträgliche Isolation der Bewohner von Senioren- und Pflegeheimen unter Maßgabe von Infektionsschutzbestimmungen.

Isolation, Alleinsein und Einsamkeitsgefühle: Darüber wird jetzt sehr viel kommuniziert. Mehr noch als Ende Februar, in der Zeit „vor Corona“, als in Neudietendorf eine gut besuchte Tagung zum Thema „Einsamkeit“ stattfand. Denn auch jüngere Menschen und Singles geraten nun in den Fokus. Noch ist nicht abzusehen, welche psychischen und sozialen Folgen das „Großexperiment“ der Einschränkung (physischer) Kontakte, das etwa in Spanien noch härter abläuft, haben wird. Auch wenn der Höhepunkt der Einschränkungen (vorerst?) hinter uns liegt. Einsamkeit erscheint mittlerweile selbst kurzum als „Seuche“ (DER SPIEGEL, 16.05.2020) oder als ein hochansteckender Virus.

Dieser veränderten Situation trägt die Ausgabe der epd-Dokumentationen im ersten und letzten Beitrag Rechnung: Sie wurden unter dem Eindruck der Corona-Krise neu geschrieben bzw. auf diese hin umgestellt. Gerahmt davon werden die Beiträge der Tagung im Februar dokumentiert, die ihre Gültigkeit behalten:

Akademiedirektor Dr. Sebastian Kranich beschäftigt sich mit Einsamkeit in Corona-Zeiten und beschreibt die Pole der Einsamkeitsdebatte im gesellschaftspolitischen Spannungsfeld seit 2018. Der Psychologe Dr. Marcus Mund (FSU Jena) plädiert für Begriffsklarheit und unterscheidet zwischen a) sozialer Isolation als objektivem Mangel an sozialen Beziehungen, b) Einsamkeit als subjektiv negativ empfundenem Gefühl, c) Alleinsein als subjektiv positiv empfundenem Gefühl. Dr. Janosch Schobin (Universität Kassel) bestätigt als Soziologe den Forschungsstand der Psychologie: Anders als oft vermutet gibt es über lange Jahre hin keine messbare Zunahme von Einsamkeit als Gefühl in Westeuropa. Seine These: Moderne Gesellschaften machen (noch) nicht einsamer. Schließlich steuert der ehemalige Mönch und Politikwissenschaftler Dr. Dr. Bernhard Heider (Universität Regensburg) seine – auch Corona-aktuellen – Erfahrungen und philosophisch-theologischen Reflexionen bei.

Publikation:

„Einsamkeit“. Beiträge einer Tagung der Evangelischen Akademie Thüringen vom 21. bis 23. Februar 2020 – mit krisenbedingten Erweiterungen unter dem Eindruck von Corona

epd Dokumentation Nr. 23/2020, 5,60 Euro, Bestellung über https://www.epd.de/fachdienst/dokumentation/startseite

Aus dem Inhalt:

Dr. Sebastian Kranich: Getrennt und doch verbunden: Einsamkeit in Corona-Zeiten
Dr. Sebastian Kranich: Spinnen die Briten? Einsamkeit als gesellschaftspolitisches Problem
Dr. Marcus Mund: Psychologie der Einsamkeit
Dr. Janosch Schobin: All The Lonely People? Warum uns moderne Gesellschaften (noch) nicht einsamer machen
Dr. Dr. Placidus Bernhard Heider: Die Stille der Einsamkeit – zwischen Not, Möglichkeit und Erfüllung – Mit einer Umstellung auf aktuelle Fragen zu Tod und Einsamkeit in Zeiten einer Krise