Evangelische Akademie Thüringen

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"Jetzt ist die Zeit..." - Rückblick auf den Kirchentag

  • Diskutierten über den Umbau der Demokratie: Simon Strohmenger, Nicola Beer, Annika Gramoll, Prof. Dr. Hartmut Rosa und Dr. Annika Schreiter. Foto: © Rüdiger Noll
    Diskutierten über den Umbau der Demokratie: Simon Strohmenger, Nicola Beer, Annika Gramoll, Prof. Dr. Hartmut Rosa und Dr. Annika Schreiter. Foto: © Rüdiger Noll
  • Auch das ist Kirchentag: Überfüllte Kirchen! Immerhin bestärkt das das Gefühl, Viele zu sein. Foto: © Schreiter/EAT
    Auch das ist Kirchentag: Überfüllte Kirchen! Immerhin bestärkt das das Gefühl, Viele zu sein. Foto: © Schreiter/EAT
  • Am Lagerfeuer sprachen Jan Witza, Lilly Blaudszun, Wladimir Kaminer und Neven Subotic über das Dilemma von Freiheit und Zusammenhalt. Foto: © Schreiter/EAT
    Am Lagerfeuer sprachen Jan Witza, Lilly Blaudszun, Wladimir Kaminer und Neven Subotic über das Dilemma von Freiheit und Zusammenhalt. Foto: © Schreiter/EAT
  • Beim gemeinsamen Workshop mit der Ev. Akademie Sachsen-Anhalt schnupperten 60 Menschen in das Porjekt "Bubble Crasher" hinein. Foto: ©Steffen Göpfert
    Beim gemeinsamen Workshop mit der Ev. Akademie Sachsen-Anhalt schnupperten 60 Menschen in das Porjekt "Bubble Crasher" hinein. Foto: ©Steffen Göpfert

In der vergangenen Woche fand der 38. Deutsche Evangelische Kirchentag in Nürnberg unter der Losung „Jetzt ist die Zeit…“ statt. Fünf Tage voller kontroverser, respektvoller Gespräche, spontaner Bläser- und Chorkonzerte, gemeinsamer Gebete in Kirchen, auf Marktplätzen und Messehallen und voller neuer Ideen rund um die drängenden Fragen unserer Zeit. Mit dabei war aus der Ev. Akademie Thüringen Dr. Annika Schreiter:

„‚Endlich wieder Kirchentag!‚ – Diesen Satz habe ich in Nürnberg häufig gehört. Es tat gut, sich wieder treffen zu können, sich ins Getümmel zu stürzen und sich wenigstens fünf Tage lang wie eine fröhliche, aufgeschlossene, glaubensstarke und streitbare Mehrheit zu fühlen. Ich durfte als Mitglied der Präsidialversammlung – das ist das Parlament des Kirchentages – und als Projektleitung den Thementag ‚Freiheit und Solidarität‚ mitorganisieren. Nicht nur deshalb drehte sich mein Kirchentag vor allem um die Frage nach der Gestaltung gesellschaftlichen Miteinanders: Wie wollen wir miteinander leben? Wie schaffen wir die so bitter nötige, große Transformation so, dass wir nicht die Hälfte der Menschen unterwegs verlieren? Wie bekommen wir das Bedürfnis und schließlich auch das Recht nach individueller Freiheit und Selbstentfaltung in Einklang mit gesellschaftlichem Zusammenhalt? Keine kleinen Fragen. Aber wo, wenn nicht auf dem Kirchentag können sie diskutiert werden?

Mir wurde in diesen fünf Tagen klar: Eigentlich kennen wir die Antworten schon, nur sind sie keineswegs einfach. Bei der Abendveranstaltung Ich vs. Wir. Das ewige Dilemma zwischen Freiheit und Zusammenhalt bemerkte Ex-Fußballstar Neven Subotic: ‚Wir kann immer nur global gedacht werden.‚ Alles andere ergebe für ihn keinen Sinn in einer globalisierten Welt. Der Soziologe Prof. Dr. Hartmut Rosa von der Friedrich-Schiller-Universität Jena fasste beim Podium Wir müssen die Demokratie umbauen zusammen: ‚Die Demokratie gibt jedem eine Stimme. Aber die nützt nichts, wenn wir nicht auch bereit sind, die Stimmen der anderen zu hören.‚ Individuelle Freiheit ist also wenig wert, wenn wir so tun, als wäre sie unser alleiniges Recht und dabei die globalen und gesellschaftliche Verantwortung ignorieren, die jede:r einzelne trägt. Auch Bundespräsident Frank-Walther Steinmeier warb in seiner Bibelarbeit eindringlich dafür ‚über den Tellerrand der eigenen Befindlichkeit‚ zu schauen und ins Gespräch mit Andersdenkenden zu gehen.

Wie passend, dass wir als Ev. Akademien mit dem Projekt Bubble Crasher einen Workshop angeboten haben, in dem 60 Teilnehmende von Fürth bis Buenos Aires gleich ausprobieren konnten, wie es gehen kann, mit Unbekannten einfach mal ins Gespräch zu kommen.

Eine Bubble ist auch der Kirchentag, aber eine der streitbarsten und mitmenschlichsten, die ich kenne. Die zum Teil rassistischen und homophoben Reaktionen auf die Abschlussgottesdienste machen mir deutlich: Der Kirchentag ist nicht die Realität. Wir sind gesellschaftlich noch so weit entfernt von einer Gesellschaft, in der sich wirklich alle angstfrei äußern können. ‚Friede, Freude, Eierkuchen‚ wäre da gar nicht mein Ziel. Sondern eben (nur) das: Dass jeder Mensch angstfrei über alles sprechen kann, was ihn oder sie bewegt. Schön, wenn man fünf Tage in der Kirchentags-Bubble abtauchen darf. Weltfremd ist diese Blase absolut nicht. Ich hoffe sehr, dass viele der 70.000 Teilnehmenden ein bisschen etwas von der Energie, von dem respektvollen Umgang und den Ideen mit in ihren Alltag nehmen können. Ich gebe mir selbst alle Mühe!“