Evangelische Akademie Thüringen

‹ alle Blogartikel anzeigen

Repräsentative Demokratie = auf Dauer gestellte Krise

  • Podiumsgespräch zu "Demo oder Dialog?" mit Lothar König, Sebastian Kranich und Frank Hiddemann (v.l.n.r.). Foto: © EAT
    Podiumsgespräch zu "Demo oder Dialog?" mit Lothar König, Sebastian Kranich und Frank Hiddemann (v.l.n.r.). Foto: © EAT
  • Erfahrungen zum Umgang mit Rechts/Populismus: Karamba Diaby und Sebastian Striegel im Gespräch. Foto: © EAT
    Erfahrungen zum Umgang mit Rechts/Populismus: Karamba Diaby und Sebastian Striegel im Gespräch. Foto: © EAT
  • Konzert mit dem Liedermacher Stephan Krawczyk. Foto: © EAT
    Konzert mit dem Liedermacher Stephan Krawczyk. Foto: © EAT

Tagungsbericht

„Wäre die Demokratie ein Tier, man müsste sie unter Artenschutz stellen“ (Handelsblatt). Dieser Eindruck drängt sich beim Blick in einer Menge neuer Publikationen und beim Hören etlicher Äußerungen aus der Politik auf. Um diesem Eindruck nachzugehen lud die Evangelische Akademie Thüringen vom 15. bis 17. März zur Tagung „Demokratie fragil“ nach Neudietendorf.

Eine krisenhafte Situation der repräsentativen Demokratie machte einleitend der Politikwissenschaftler Maik Herold (TU Dresden) aus. Gruppen von Bürgern, insbesondere des traditionellen Mittelstandes, fühlten sich nicht mehr ernstgenommen und angemessen repräsentiert, so dass sie sich gegen das Establishment wendeten. Bewegungen wie Pegida seien nicht per se undemokratisch. Vielmehr träten sie für eine stärkere Volksbeteiligung ein – ohne freilich für „das“ Volk sprechen zu können.

Anschließend erläuterte Prof. Dr. Thorsten Moos (Kirchliche Hochschule Wuppertal/Bethel) die Entscheidung des Deutschen Evangelischen Kirchentages, Vertreter der AFD nicht zur Mitwirkung auf Podien in Dortmund einzuladen. Er beschrieb das Dilemma zwischen Grundsätzen des Kirchentages und seinem Charakter als Gesprächsforum. Dabei wurde deutlich, dass der Kirchentag hier an einem Problem teilhat, das auch anderswo beim Umgang mit der AFD auftritt. Dennoch wurde in der Diskussion wiederholt angefragt, ob die Entscheidung zur Nichteinladung nicht zu mutlos sei und aus einer kirchlichen Milieuverengung und theologischen Übermoralisierung herrühre.

Am Abend des ersten Veranstaltungstages diskutierten dann die Thüringer Pfarrer Dr. Frank Hiddemann (Gera) und Lothar König (Jena) über ihren Umgang mit „Rechts“. Frank Hiddemann hatte 2018 eine öffentliche Gesprächsreihe zu Themen der AFD organisiert und dazu auch Vertreter der Partei eingeladen. Lothar König hingegen ist als Jugendpfarrer bekannt durch seinen Kampf gegen den rechten Rand auch auf der Straße. Wider Erwarten waren sich beide in ihren Zielen rasch einig. Ihre Differenz lässt sich am ehesten so beschreiben: Hiddemann möchte die AFD inhaltlich-argumentativ widerlegen und ihre Vertreter im „Streitgespräch“ bezwingen. König setzt dagegen primär auf deren Zurückdrängung im öffentlichen Raum. Demonstrationen und Streitgespräche seien zwei Seiten einer Medaille: So lautete die Abschlussformel.

Am zweiten Tag standen nach der Morgenandacht (im Anhang zum Download) zunächst zwei Vorträge auf dem Programm. Prof. Dr. Klaus Tanner (Uni Heidelberg) lenkte den Fokus zurück in die Geschichte. Er gab Einblicke in die protestantische Demokratiekritik in der Weimarer Republik und benannte wichtige Punkte der EKD-Demokratiedenkschrift von 1985. Vor allem aber wandte er sich Grundsatzfragen zu. Nur einige seiner Statements seien herausgegriffen: Maik Herold aufnehmend sprach auch Klaus Tanner von einem aktuellen Repräsentationsdefizit und betonte: Ausgrenzungsstrategien wirkten immer nur kurzfristig und ‚populistische‚ Impulse könnten die Demokratie fördern. Was die Krisenwahrnehmung angeht, meinte er: repräsentative Demokratie sei per se auf Dauer gestellte Krise. Ohne Illusionen müsse man zudem anerkennen: Im demokratischen Prozess käme am Ende immer etwas heraus, was keiner gewollt habe. Schließlich hielt er fest: Christlicher Glaube markiere immer auch eine Differenz zu jeglicher Staatsform; er nannte die neue Symbiose mit der Demokratie auch eine Gefahr. Die Kirchen warnte er zudem vor moralischer Überhöhung zur Stigmatisierung anderer Positionen.

Unter der Überschrift „Glaubenssache Demokratie!?“ führte Dr. Stefanie Hammer (Erfurt) im Anschluss in das Phänomen der Zivilreligion ein. Anhand der Gedenkfeier für die Opfer des Amoklaufs am Gutenberggymnasium 2002 auf dem Domplatz in Erfurt erläuterte sie deren Elemente und Inszenierungsformen. Im Anschluss wurde darüber diskutiert, inwiefern und in welcher Form es Zivilreligion in Deutschland gäbe. Als Ergebnis kann festgehalten werden: Ja, es gibt sie. Auch wenn ihre Inszenierungsformen in Deutschland sich von denen in Frankreich oder den USA unterscheiden.

Nach dieser wissenschaftlichen Befassung kamen am Nachmittag zwei Politiker zu Wort – und mehr, als es bei Vorträgen mit Rückfragen sein kann – auch die Teilnehmenden. Sebastian Striegel (GRÜNE, MdL Sachsen-Anhalt) und Dr. Karamba Diaby (SPD, MdB) schilderten in einem Podiumsgespräch ihre Erfahrungen mit der Demokratie im Parlament, auf der Straße, im Internet und bis ins Persönliche hinein. Dabei wurde deutlich, in welchem Maße Politiker und Politikerinnen heute bisweilen angefeindet und bedroht werden. Sei es wegen ihrer politischen Positionen, sei es wegen ihrer Hautfarbe. Danach wurde noch konkreter gesprochen: Bürger fragen Politiker – Politiker fragen Bürger, so hieß das Format. Nun ging es auch um Sachfragen auf einzelnen Politikfeldern. Am Ende appellierten die beiden Politiker an die Tagungsteilnehmer: „Engagieren sie sich. Und melden sie sich zu Wort, wenn Grenzen der Achtung und des Anstandes überschritten werden.“

Am Abend des zweiten Tages spielte der Liedermacher Stephan Krawczyk ein Konzert im Chorsaal des Zinzendorfhauses, das man erlebt haben muss.
Der Sonntag war schließlich dem Austausch der Tagungsgäste untereinander gewidmet. Nach der Morgenandacht kamen bei Dialog-Spaziergängen im Freien sowie in kleinen Gesprächsrunden nun wirklich alle zu Wort. Jetzt hätte man so richtig weitermachen können. Aber am Sonntagmittag galt es Abschied zu nehmen. Mit dem Gesang von „Verleih uns Frieden gnädiglich“ und dem Reisesegen endeten drei inhaltsreiche Tage.