Evangelische Akademie Thüringen

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Sterberate und Hoffnungszeichen

Was in der Natur ein ganz normaler Prozess ist, bereitet dem Menschen mitunter große Schwierigkeiten: die prinzipielle Sterblichkeit aller Lebewesen. Foto: Kiefer auf dem Darß, © Sebastian Kranich/EAT
Was in der Natur ein ganz normaler Prozess ist, bereitet dem Menschen mitunter große Schwierigkeiten: die prinzipielle Sterblichkeit aller Lebewesen. Foto: Kiefer auf dem Darß, © Sebastian Kranich/EAT

In einem Radiointerview für die Palmsonntags-Sendung auf Antenne Thüringen wurde ich am 20. März gefragt: „Bald ist ja Ostern. Warum sollen wir uns da mit Tod und Sterben auseinandersetzen?“ Die Frage war journalistisch-provozierend gestellt. Ich antwortete spontan: Was heißt hier „sollen“? Wir sehen die Bilder aus den Krankenhäusern in Italien, sehen die Armeelaster, die die Toten abtransportieren. Die Sterbenden und die Särge kommen in unsere Wohnzimmer. Wir setzen uns schon damit auseinander, Tag für Tag.

Würde ich jetzt – Anfang April – dazu gefragt, wäre meine Antwort womöglich eine andere. Denn das Sterben rückt näher. Gerade trifft uns der Satz: „Die Coronavirus-Sterberate in Deutschland wird steigen.“ Viele haben ein mulmiges Gefühl. Zum Scherzen ist kaum jemandem zumute.
Denn im Kopf wissen wir es schon: Wir werden alle sterben – irgendwann. Manche lassen diesen Gedanken näher an sich heran. Andere sind besser im Verdrängen. Aber an der Tatsache ist nichts zu ändern. Nur bricht jetzt akut auf, was die Realität unserer Existenz ist. Paul Tillich schreibt: „Existenz schließt Endlichkeit ein, und Angst ist das Gewahrwerden der eigenen Endlichkeit.“ Weniger philosophisch lässt sich das mit Luther auch singen: „Mitten wir im Leben sind, mit dem Tod umfangen.“

Die Reaktionen darauf sind unterschiedlich. Möglich sind: Ein leichtsinniges „mich wird es schon nicht treffen.“ Die Selbsteinschätzung des Risikos anhand der Paramater alt/jung, gesund/vorerkrankt, weiblich/männlich. Die Suche nach dem maximalen Schutz usw. Zugleich erlebe ich aber auch, wie die Freundlichkeit untereinander steigt. Ich werde von fremden Menschen beim Spaziergehen angelächelt – oder lächeln sie zurück? (Ich hatte meinen Blickkontakt und mein Lächeln gar nicht bemerkt.) Und auch die dienstlichen Kontakte wandeln sich. Die Frage nach der Gesundheit und dem Ergehen von Familie und Angehörigen werden in E-Mails und Telefonaten ehrlich gestellt. Das ist schön, zeugt es doch von einem menschlichen Interesse, dem wir sonst so viel Raum nicht geben.

Und dann wären da noch die Kinder, die Bilder für Menschen in Altenheimen malen, die Jungen, die für die Alten einkaufen, die vielen, die anrufen und sich anrufen lassen … Das alles und noch vieles mehr sind Zeichen und Gesten der Hoffnung, die das mulmige Gefühl etwas klären und aufhellen. All das können wir tun, auch wenn wir nicht zu den „neuen Helden“ in Laboren, Krankenhäusern, Altenheimen oder Supermärkten gehören. Denn auch Freundlichkeit und Hoffnung sind systemrelevant.

Wie aber mit unseren Ängsten umgehen? Sogar mit Todesangst? Martin Luther dichtet:
„Mitten in dem Tod anficht / uns der Hölle Rachen / Wer will uns aus solcher Not / frei und ledig machen? / Das tust du, Herr, alleine. / Es jammert dein Barmherzigkeit / unsre Klag und großes Leid.“