Wander- und Begegnungswerkstatt entlang des Grünen Bandes
Veranstaltungsrückblick von Rebecca Robinson (Praktikantin der EAT)
Wo einst die innerdeutsche Grenze verlief, schützt man heute das Grüne Band – ein fast 1400 Kilometer langer Geländestreifen, der an die Teilung Deutschlands bis 1989 erinnert. Dieses einzigartige Naturschutzprojekt steht nicht nur als Symbol der Wiedervereinigung, sondern bewahrt auch die Spuren politischer Geschichte, die bis heute in die Landschaften und Gemeinden hineinwirken.
Vom 26. bis 29. September 2024 begaben sich 26 Teilnehmer:innen auf eine Wander- und Begegnungswerkstatt durch die Grenzregion von Thüringen und Hessen, mit Bad Sooden-Allendorf als Ausgangspunkt. Ziel war es, die Geschichte dieser Orte durch Gespräche, Museumsbesuche und gemeinsame Wanderungen zu erkunden – Orte, die sowohl von den Erfahrungen der Grenze als auch vom Überwinden dieser geprägt sind.
Erinnerungen in der Landschaft
Das Grüne Band, das einst als unüberwindbare Grenze galt, zeigt sich heute als lebhafte Landschaft, doch die Narben der Vergangenheit sind noch deutlich erkennbar. Der Wald erinnert sich: Ein Baum, an dem wir vorbeigingen, hatte den Stacheldrahtzaun „gefressen“ – ein kraftvolles Symbol für den Wandel, der an diesem Ort stattfand. Junge Birken erobern die ehemaligen Grenzstreifen zurück, doch sie wachsen anders als die alten Bäume. Sie mahnen und erzählen von einer Zeit, in der diese Gegend zerrissen und gespalten war.
Eine Teilnehmerin bemerkte erstaunt, dass sie sich damals eine solch blühende Landschaft nicht hätte vorstellen können, während wir den Wegen folgten, die einst niemand betreten durfte. Der Wald trotzt mit Leben, doch die Schatten der Vergangenheit bleiben bestehen: Gebäude, Erzählungen und Mahnmale erinnern an die Angst und Unsicherheit, die diese Region prägten. Über 12.000 Menschen wurden zwangsweise umgesiedelt, Millionen flohen vor den Grenzanlagen. Ihre Geschichten hallen bis heute in den Orten wider, die wir durchwanderten – Bad Sooden-Allendorf, Lindewerra, Schifflersgrund, Sickenberg und Asbach.
Zwischen Aufbruch und Enttäuschung
Die Zeit nach der Wende war für viele Menschen von Hoffnung und Aufbruchstimmung geprägt, doch auch Enttäuschungen folgten schnell. Diejenigen, die damals den Mut, die Möglichkeiten und die Kontakte hatten zu gehen, verließen die Region – und sie fehlten lange Zeit, reflektierte eine Teilnehmerin. Dieser Verlust an Menschen und Potenzial war in vielen ländlichen Regionen des ehemaligen Ostens spürbar.
Im Schifflersgrund, einem der Orte unserer Wanderung, berichtete unsere Wegbegleiterin Anne Vaupel-Meier von der Geschichte der Grenze: „Die Grenze war für beide Seiten auch ein Geschäft.“ Die Relikte der Grenzanlagen – einst mit bayrischem Stahl errichtet – stehen heute als Mahnmale in der Landschaft. „Es ist die Aufarbeitung der Aufarbeitung notwendig“, betonte sie. Diese Aussage verdeutlicht, dass das Erinnern an diese Zeit nicht abgeschlossen ist, sondern immer wieder neu reflektiert und bearbeitet werden muss.
Gemeinsam in die Zukunft blicken
Am letzten Morgen reflektierten wir gemeinsam das Erlebte. Was nehmen wir mit? Die Wanderung entlang des Grünen Bandes bot nicht nur einen Blick in die Vergangenheit, sondern auch eine Auseinandersetzung mit den Grenzen unserer heutigen Zeit. Eine Teilnehmerin erinnerte daran, dass Grenzen immer Menschen trennen und entscheiden, wer sie passieren darf und wer nicht. Die aktuelle politische Lage macht vielen Angst, doch die Orte, die wir bewanderten, zeigen: Grenzen können überwunden werden – sowohl physisch als auch metaphorisch.
Die Veranstaltung, die in Zusammenarbeit der beiden Evangelischen Akademien Thüringen und Sachsen organisiert wurde, brachte Menschen aus verschiedenen Teilen Deutschlands zusammen und machte deutlich, dass der Wunsch nach Dialog und Offenheit groß ist. Im Rahmen des von der Bundeszentrale für politische Bildung geförderten Projekts „Landwandel. Bewegung und Begegnung in ländlichen Räumen“ werden in den kommenden zwei Jahren weitere Wander- und Begegnungswerkstätten von den beteiligten Akademien angeboten.
Veröffentlicht am 03. Oktober 2024