Wie jedes Jahr hat sich das Team der Akademie auch in diesem Mai drei Tage Zeit genommen, um in Ruhe zu planen, zu reflektieren und natürlich auch als Team besser zueinander zu finden. Zu Gast war die Akademie im Bonifatiushaus – der Katholischen Akademie Fulda.
Wie wird das Jahresprogramm für 2024 aussehen? Um welche Themen wird es darin gehen? Und welche Standards und Arbeitsprozesse müssen an eine veränderte Arbeitsrealität nach der Pandemie angepasst werden? Wo haben sich Zuständigkeiten durch Personalwechsel verändert? Für diese grundsätzlichen Fragen bleibt im Tagesgeschäft oft keine Zeit. Im Bonifatiushaus konnten sie in Ruhe diskutiert werden.
Daneben blieb natürlich Zeit, durch das Fuldaer Barockviertel zu schlendern und den Dom St. Salvator sowie die über 1200 Jahre alte Michaelskirche zu besichtigen. Besonders der Kontrast zwischen barockem Überfluss im Dom und der stillen, feierlichen Schlichtheit der romanischen Kirche beeindruckte und sorgte für so manches Nachgespräch am Abend.
Dr. Ulrike Wollenhaupt-Schmidt, Foto: Julia Phillips
Seit Mitte April hat die Akademie eine neue Kollegin: Ulrike Wollenhaupt-Schmidt ist die Assistentin der Akademieleitung. Die Kunsthistorikerin und Historikerin hat in Göttingen studiert und über die documenta 1 promoviert. Sie lebt in Erfurt, ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter. Sie hat vorher das Büro in einem interkulturellen Projekt gemanagt, hält als Lehrbeauftragte Seminare an der Universität Erfurt ab und hatte über viele Jahre eine kleine Firma für Webdesign. Die Erfahrung mit der Großveranstaltung „Erfurt rennt“ sieht sie als gute Vorbereitung auf ihre Aufgabe, die unterschiedlichen Veranstaltungen an der Akademie zu begleiten und unterstützen und Kontakte zu den Referierenden zu pflegen.
Die neue Erfahrung an der Akademie macht ihr Spaß: Die Organisation von gleich zwei mehrtägigen Tagungen, die Pflege der Website, Einarbeitung in unsere Datenbank und verschiedene weitere Aufgaben findet sie „ebenso vielfältig wie spannend“, aber sie freut sich auch über die Herausforderung, täglich Neues dazuzulernen.
Gleich die erste Tagung, „Medien des Kirchenkampfes“, die sie mit der tatkräftigen Unterstützung ihrer Kolleginnen vorbereitet, ist eine große und thematisch reiche: „Da ich selbst Historikerin mit einem Forschungsschwerpunkt zur NS-Geschichte bin, freue ich mich sehr auf das Programm und die Vorträge“.
Die Akademie mit dem Garten und den jetzt im Frühjahr blühenden Bäumen schätzt Ulrike Wollenhaupt-Schmidt als „einen einzigartigen Arbeitsplatz, den man sich nur wünschen kann“. Sie ist froh bei uns zu sein und wir freuen uns mit ihr, dass sie unser Team bereichert.
Herzlich willkommen in der Akademie!
Stadtschloss Eisenach mit Rückansicht St. Georgsbrunnen (EAT, S. Kranich)
Vortrag von Dr. Sebastian Kranich im Rokokosaal des Stadtschlosses Eisenach am 3. Mai (EAT, A. Große).
Zu Himmelfahrt 1921, am Hauptfesttag der Eisenacher Feier zu Luthers Einzug in die Wartburg 1521, wurden in der Nikolaikirche Parallelen gezogen:
Laut Eisenacher Zeitung „sprach Prof. D. Hoffmann –Breslau in einer machtvoll-männlichen Predigt von diesem doppelten Festtag. Himmelfahrtslicht und Lutherglaube, Ölberg und Wartburg reichen sich die Hand zu einem Erlebnis, das nach oben führt. […] Poetisch verknüpfte sie jene Höhe im heiligen Land, von der sich der Heiland emporgeschwungen hat gen Himmel, um seine Wiederkehr und sein Reich vorzubereiten, mit dem Berg im Herzen unserer Heimat, die unserem Meister ebenfalls eine Stätte ward, an der er seine Wiederkehr vorbereitete.“
Zwei solch unterschiedliche Ereignisse rhetorisch zu verbinden ist schwierig. Doch die Kurve, die hier genommen wurde, passt sich ein in den Grundduktus jener Feier: Luthers Comeback in der Welt bot die Parallele zum erhofften Comeback des Deutschen Reiches nach dem 1. Weltkrieg. Und das Reich des Heilands wurde unter der Hand zum Reich, das bleiben muss und wiederherzustellen ist.
Auch Luther hätte die deutsche Kriegsschuld von sich gewiesen, meinte etwa ein Nachfahre bei seiner Rede am Lutherdenkmal auf dem Karlsplatz: „Der Mann, der hier oben steht, er hätte sich […] bekannt zu seinem Volk, zu dessen Recht, zu seiner Nichtschuld.“
So geartete Zusammenhänge und Konnotationen standen im Zentrum eines Vortrags von Akademiedirektor Dr. Sebastian Kranich am 3. Mai im Rokokosaal des Stadtschlosses Eisenach. Geschichtsinteressierte und Fachleute diskutierten im Anschluss unter anderem die Frage, warum der Reformator 1921 so stark als „Mann“, ja schon als „Führer“ stilisiert wurde. Was und wieviel hatte das mit dem völkischen Netzwerk in Eisenach zu tun? Mit Himmelfahrt als Männertag ja wohl noch nichts …
Auch der liberale Theologe Hans Lietzmann kam vor der Luthergesellschaft in der „Erholung“ nicht an Luther als „großer, genialer Führerpersönlichkeit“ vorbei. Der Jenaer Professor spannte den Reformator aus als „Mann, dessen Haupt die Stimme der Gottheit hört, und dessen Füße fest auf heimatlichem Boden stehen.“
Spekulation bleibt, was Luther zu all dem sagen würde. Eins aber lässt sich nachrechnen: Zu Himmelfahrt am 9. Mai 1521 weilte der Reformator bereits den fünften vollen Tag im „Reich der Vögel“.
Jugendpolitik Ost und der besondere Blick für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in Ostdeutschland ist weitgehend eine Leerstelle in der Bundespolitik. Zu diesem Ergebnis kamen die Teilnehmenden des parlamentarischen Frühstücks zum Thema „Von wegen anders – Jugendpolitik Ost“ der Ev. Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung (et) am vergangenen Mittwoch im Haus der EKD in Berlin. Die Bundestagsabgeordneten Emilia Fester (Grüne), Fabian Funke (SPD) und Heidi Reichinnek (Linke) sowie der Fraktionsreferent Hendrik Schmidt (CDU/CSU) diskutierten mit Jugendbildungsreferent:innen aus Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Berlin darüber, was das Aufwachsen junger Menschen in Ostdeutschland besonders macht und welche Herausforderungen das an die Bundespolitik stellt.
Unter dem Titel „Von wegen anders – Jugendpolitik Ost“ hat die Evangelische Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung neun Thesen zum Aufwachsen von Jugendlichen in Ostdeutschland veröffentlicht. Das Projekt, an dem die Evangelischen Akademie Thüringen gemeinsam mit weiteren Partner:innen der et aus den östlichen Bundesländern beteiligt war, brachte in den vergangenen zwei Jahren Fachkräfte der Jugendarbeit mit politischen Entscheidungsträger:innen ins Gespräch und fragte nach Zielen und Herausforderungen für die einzelnen Regionen Ostdeutschlands. Im Rahmen des parlamentarischen Gesprächsfrühstücks mit Abgeordneten des Deutschen Bundestags wurde diese nun diskutiert.
Viel weniger festangestelltes Personal in der Jugendarbeit als in westlichen Bundesländern, eine höhere Wahrscheinlichkeit im Alltag mit demokratiefeindlichen und autoritären Positionen konfrontiert zu werden und gerade im ländlichen Raum große Defizite bei der Infrastruktur sind nur einige Themen, die zur Sprache kamen. Zudem ging es um die Balance von Projekt- und Strukturfördermitteln. „Jetzt ist Zeit für eine Bestandsaufnahme und gezielte Förderung für junge Menschen in Ostdeutschland, ohne eine Dramatisierung oder Reduzierung auf einige wenige Aspekte“, erklärt Tobias Thiel, Studienleiter für gesellschaftspolitische Jugendbildung an der Ev. Akademie Sachsen-Anhalt. Somit war der Abschluss des Projekts „Von wegen anders“ eher ein Gesprächsauftakt, um die Leerstelle Jugendpolitik Ost anzugehen.
„Von wegen anders – Jugendpolitik Ost“ ist ein Projekt der et, gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ).
Am 8. Mai wurde im Augustinerkloster zum neunten Mal der Thüringer Demokratiepreis des Landesprogramms „Denk bunt“ für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit vergeben. Unter den Hauptpreisträgern ist das EAT-Projekt Bubble Crasher, das seit 2019 in Kooperation mit der Ev. Akademie Sachsen-Anhalt junge Menschen ermutigt und befähigt – kontroverse – Gespräche mit Menschen außerhalb ihrer gewohnten Kontexte zu führen.
„Bubble Crasher versucht etwas im Kleinen, was wichtig für das Große und Ganze ist“, sagte Frank Behnke, Schauspieldirektor des Staatstheaters Meiningen in seiner Laudatio. „Bubble Crasher suchen den Menschen hinter der Meinung. Bubble Crasher setzt auf Sprache, wie übrigens das Theater auch, auf den Dialog, zunächst mit sich selbst und dann mit anderen.“ Bubble Crasher ist der Versuch für mehr Demokratie im ganz Kleinen – in der zwischenmenschlichen Begegnung: „Echtes Interesse am Gegenüber und radikale Zugewandtheit helfen, Menschen hinter Meinungen kennenzulernen und zu verstehen“, sagt Dr. Annika Schreiter, die das Projekt an der EAT leitet.
Neben der Qualifizierung und der Ermutigung der jugendlichen Bubble Crasher werden die Methoden auch an Multiplikator:innen in der Bildungsarbeit weitergebeben. So steht eine Methodenhandreichung online frei zur Verfügung. Zudem gehören On- und Offline-Weiterbildungsformate zum Portfolio des Projekts, um die Methoden weiterzutragen. Diese Angebote nutzen zum Beispiel Menschen aus Schulsozial- und offener Jugendarbeit, aus Demokratiepädagogik oder Haupt- und Ehrenamtliche aus der Gemeindearbeit. Aber auch Mitarbeitende der Polizei und Thüringer Staatskanzlei haben sich bereits zu Bubble Crasher-Anleitenden weiterbilden lassen.
Der Thüringer Demokratiepreis würdigt jedes Jahr das Engagement von Einzelpersonen, Initiativen und Projekten, die sich mit hohem persönlichen Einsatz für eine aufgeschlossene und vielfältige Gesellschaft stark machen. Die beiden anderen Hauptpreisträger:innen für das Jahr 2022 sind das Gedenkprojekt 1000 Buchen der Lebenshilfe Weimar-Apolda e.V. (1. Hauptpreis) und das Netzwerk AIS aus dem Saale-Holzland-Kreis (2. Hauptpreis), für die Stärkung der Demokratie im ländlichen Raum.
Die Tagung "Land. Wirtschaft. Kollektiv." fand am Thüringer Gedenkort des Bauernkriegs von 1525 statt: im Panorama-Museum Bad Frankenhausen. Foto: Lange/TSK
Der Thüringer Minister und Staatskanzleichef Benjamin-Immanuel Hoff eröffnete die Veranstaltung. Foto: Lange/TSK
Die Vertreterin der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), Gesine Langlotz, in der Diskussion mit Torsten Weil, Staatssekretär im Thüringer Ministerium für Infrastuktur und Landwirtschaft. Foto: Lange/TSK
„In der Natur, dem Werke der Schöpfung, kommen noch keine Grund- und Kapitaleigentümer vor.“ Schon als einer der ersten Sozialökonomen, der Landwirt und Gutsbesitzer Karl Rodbertus, um 1870 an diesen banal scheinenden Umstand erinnerte, waren die Bodennutzung und die menschengemachte Rechtsinstitution des privaten (Land-)Eigentums hochumstritten.
Einen aktuellen Einblick in dieses bis heute konfliktträchtige Kardinalthema bot am 15. April 2023 die Tagung Land. Wirtschaft. Kollektiv. Wem gehört das Land?, welche gemeinsam von der Thüringer Staatskanzlei, der Evangelischen Akademie Thüringen, der Bundesstiftung Aufarbeitung sowie dem Thüringer Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur im Panorama-Museum Bad Frankenhausen veranstaltet wurde. Die Videoaufzeichnung der Veranstaltung ist nun online verfügbar.
Anlässlich des 70. Jahrestages des Aufstandes vom 17. Juni 1953 und der Kollektivierung der Landwirtschaft der DDR wurde ein zeithistorisch grundierter Problemaufriss aktueller Fragen des Landeigentums und der Agrarwirtschaft geboten. Die Kollektivierungsmaßnahmen hatten in der DDR selbstbestimmt wirtschaftende Bauern durch die Organisationsformen der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) gleichsam zu „Hörigen“ des „Arbeiter- und Bauernstaates“ gemacht. Viele weitere bewegten die Zwangsmaßnahmen zur Flucht aus der DDR.
Etwa 70 Teilnehmende verfolgten nach der Tagungseröffnung durch den Thüringer Minister und Staatskanzleichef Benjamin-Immanuel Hoff zwei Impulsvorträge zur Zwangskollektivierung und zum Prozess der deutschen Wiedervereinigung. Eindrücklich schilderte im Anschluss Zeitzeuge Manfred Probst das wechselnde Schicksal des Vorwerks Podemus nahe Dresden, des einstmals enteigneten und von ihm nach der „Wende“ wieder übernommenen Familienhofes. Gabriele Probst – wie ihr Mann promovierte Agrarwissenschaftlerin – legte eindrücklich dar, dass die zentrale Bedeutung des Bodens für eine nachhaltige Land- und Gesamtwirtschaft dem Nicht-Fachpublikum heute erst wieder grundständig vermittelt werden müsse: „Das tiefe Verständnis für den Boden fehlt völlig.“ Dessen Ertragsfähigkeit, im Kern also die Fähigkeit zur Erzeugung einer jährlichen Ernte, müsse wieder an oberster Stelle der Betrachtung des Bodens stehen, so Gabriele Probst.
Die Thematisierung der Geschehnisse rund um die deutsche Wiedervereinigung nach 1989 und die damit verbundene, teils als willkürlich erfahrene Rückkehr zum Rechtsprinzip der selbstbestimmten Privatautonomie führte zu manch hohen Wogen in der Debatte der Teilnehmenden. Zum Abschluss der Veranstaltung führten Vertreter von Agrar-, Raum- und Sozialwissenschaften, Thüringer Landwirtschaftsministerium sowie landwirtschaftliche und bäuerliche Interessenvertretungen eine lebhafte Podiumsdiskussion. Diese griff die aufgebrochenen Konflikte der Publikumsdebatte auf und weitete noch einmal den Blick für die klimapolitisch-globale Bedeutung sowie die Möglichkeiten zukünftiger gesamtgesellschaftlicher Lösungen der Bodenfrage.
Überwiegend wurde von den Teilnehmenden der Tagung die Notwendigkeit der Betrachtung des Bodens als Lebensgrundlage und Basis aller weiteren wirtschaftlichen Entfaltung sowie die Rückbindung an seine Ertragsfähigkeit bekräftigt. Diese Forderungen äußerten sich in Plädoyers für die ökologisch-nachhaltige Bewirtschaftung der Ressource Boden genauso wie in der Ablehnung einer rechtlichen Freizügigkeit, welche die Handelbarkeit und Behandlung des Bodens als bloße Ware zum Ergebnis habe.
In seinen „Tagungsbetrachtungen“ erläutert Studienleiter Frank Fehlberg, was für ihn die Kernthemen der Veranstaltung waren (als Download rechts neben dem Blogartikel).