Der Morgen verlief wie jeder andere. Clara frühstückte mit ihren Geschwistern, ärgerte ihre Schwester und rannte mit ihrem Bruder in die Schule. Es klingelte zum Unterricht, als sie sich setzte. Sie hatte ihr blaues Halstuch vergessen. In der Pause nahm ihre Lehrerin sie beiseite, mit der Bitte, ihre Kreuzkette abzulegen und auf ihr Halstuch zu achten.
Clara konnte nicht begreifen, dass das Halstuch wichtiger sein sollte, wichtiger auch als ihre beste Note unter dem Aufsatz: „Des Kaisers neue Kleider“. Ein Klassenkamerad hatte dazu nur einen Satz geschrieben: „Der Kaiser war nackt, so betrog er das Volk!“ Dieser Junge lebte in einem Kinderheim, seine Eltern sollten verhaftet worden sein. Aber so genau wusste das keiner von ihnen.
Clara wunderte sich über die Angst der Lehrerin, die ihr aus den Augen sprang und die Zornesröte im Gesicht, als sie diesen einen Satz vorlas und den Jungen zwei Stunden nachsitzen ließ mit dem Thema: „Warum es im Sozialismus keine Kaiser mehr gibt.“
Offensichtlich gab es Dinge, die eine große Rolle im Leben spielten, eine größere noch als eine Eins unter dem Aufsatz oder eine Kreuzkette am Hals. Sie empfand Mitleid mit ihrer Lehrerin, denn sie mochte sie.
Aus: Jutta Kranich-Rittweger: Die Einsamkeit des Kindes. Erzählungen, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2019, S.9.
Der dies cinerum (Tag der Asche) soll uns Menschen an unsere Vergänglichkeit erinnern. Denn nichts, was lebt, ist ultimativ von Dauer. Selbst die komplexesten, schönsten und beständigsten organischen Wesen zerfallen irgendwann wieder in anorganische Bestandteile. Religiös-metaphorisch gesprochen kehren sie zu ihrem Ursprung zurück: Asche, Staub und Erde. Aber was vergeht, ist nicht einfach weg; die Bausteine sind nicht verloren. Erde und Asche sorgen für fruchtbaren Boden, nähren die kommenden Lebewesen, lassen Neues entstehen.
Vergänglich ist gleichermaßen – als wüssten wir dies nicht allzu gut – der Genuss. Auch das ist Thema des Aschermittwochs: Die Zeit des bunten Treibens und der Fülle während des Karnevals ist vorbei, jetzt beginnt die Fastenzeit mit 40 Tagen Entbehrungen. Aber woran fastet der moderne Zeitgenosse? Es sind zumeist Genussmittel wie Alkohol, Kaffee, Süßigkeiten oder Medienkonsum. Statt des dampfenden, frisch gebrühten Kaffees also ab heute nur ein wehmütiger Blick auf den alten Kaffeesatz, zur Erinnerung, dass auch dieses Lebenselexier und die kleine mehrfach-tägliche Freude daran flüchtig und vergänglich sind?
Wie gut, dass der Satz auf dem Kompost landet und uns – wenn nicht direkt, so doch über Umwege – mit neuen Kaffeebohnen versorgt. Doch schleust sich so mancher Wegwurf noch in andere Kreisläufe der Wiederverwertung ein, zum Beispiel in die Produktion von Kunst. Damit wäre ein weiterer Kreis geschlossen: Wenn nämlich Kaffeesatz als Material für Kunstobjekte dient, dann führt das letztlich wieder zum Genuss, nur nicht von frischem Kaffee.
„Gerechtigkeit ist nur in der Hölle, im Himmel ist Gnade, und auf Erden ist das Kreuz.“
Gertrud von Le Fort (dt. Schriftstellerin, 1876-1971)
Keine andere Form hat die künstlerische Arbeit von Andrea Terstappen eine Zeitlang im selben Maß beschäftigt wie die des Kreuzes. „Ich bin mit 18 aus der katholischen Kirche ausgetreten“, berichtet sie. „In meiner rheinisch-katholischen Kindheit in den 60er Jahren habe ich den Glauben nicht als wunderbare Möglichkeit erlebt, sondern als verordneten Zwang und Droh-Religion.“ Für gläubig hält sie sich nicht, dennoch entstanden in ihrer Werkstatt von 1996 bis 2011 mehr als 280 Kreuze in unterschiedlichsten Techniken und Materialien: mal in kräftigen Farben auf Leinwand, mal mit Textilien, Steinen oder integrierten Relikten; im Großformat oder als Miniatur; geometrisch abstrakt bis organisch-floral; in Nachtleuchtfarbe, auf Plexiglas, metallisch leuchtend; in Linien gehalten, in Flammen ausufernd, in der Mitte aufgebrochen; knallrot, nachtblau, kaffeebraun…
Für den 18. Februar war die Eröffnung der Ausstellung von Andrea Terstappens Kreuzen im Zinzendorfhaus geplant. Diese wird nun auf den Zeitraum von Oktober bis November 2021 verschoben. Während der Fastenzeit werden wir stattdessen in einer Online-Aktion insgesamt 10 Werke vorstellen und ihnen Texte rund ums Thema Kreuz zugesellen. Schauen Sie zum Aschermittwoch und jeden Freitag bis Ostern in diesen Blog und lassen Sie sich in Bild und Wort durch die Passionszeit begleiten!
Traditionell und doch ganz anders: Die Jugendbildung der Evangelischen Akademie beginnt jedes neue Jahr mit der Jahreskonferenz der Evangelischen Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung (et). Die Trägergruppe vereint bundesweit all jene Menschen bei den Evangelischen Akademien und der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend (aej), die im Bereich der politischen Jugendbildung tätig sind. Normalerweise findet die Konferenz stets an einem anderen Ort im gesamten Bundesgebiet statt, z.B. dort, wo Kolleginnen und Kollegen im Netzwerk der et arbeiten. Aufgrund der Pandemie hieß es jedoch auch für die Jahreskonferenz erstmalig: alles auf digital, vom heimischen Schreibtisch oder aus dem Büro zugeschaltet.
Ein thematischer Schwerpunkt der Jahreskonferenz lag auf dem 16. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung und der Konsequenzen und Schlüsse, die sich aus diesem für die gemeinsame Arbeit in der politischen Jugendbildung ziehen ließen. Im Rahmen zweier Vorträge wurden so Demokratiedimensionen und Fragen der fachlichen Selbstpositionierung hinsichtlich der Entwicklung von Radikalisierung und damit einhergehender Prävention diskutiert. Bei einem „Ghostreading“-Workshop wurden zentrale Kapitel und Aspekte aus dem Bericht unter den Kolleginnen und Kollegen mit Blick auf Chancen und Herausforderungen für die politische Bildung reflektiert und Kernaussagen erarbeitet. Ein gemeinsames Online-Gespräch mit Prof. em. Dr. Benno Hafenegger drehte sich um Überlegungen zum Umgang mit Protestbewegungen (z.B. von „Querdenken“ bis Fridays for Future) in der politischen Jugendbildung.
Ein wesentlicher Bestandteil der Jahreskonferenz ist immer der Raum für inhaltlichen Austausch, kollegiale Beratung und die Planung gemeinsamer Vorhaben und Projekte im Jahresverlauf. In einer eigenen Arbeitsphase trafen sich so auch online erneut die Regionalteams der et. Diese setzen sich jeweils aus Kolleginnen und Kollegen aus allen Himmelsrichtungen Deutschlands zusammen. Das Regionalteam Ost, zu dem auch die Jugendbildung der Evangelischen Akademie gehört, beriet sich dabei unter anderem zur Weiterarbeit am Projekt „Von wegen anders – Jugendpolitik Ost“. Das Vorhaben wird sich 2021 in Form von Gesprächen mit der Frage beschäftigen, wie jugendpolitische Bedingungen und Realitäten des Aufwachsens für Jugendliche in den ostdeutschen Bundesländern derzeit aussehen.
Ein Zufall ist es nicht, dass Martin Luther den Tarnnamen Junker Jörg trug. Denn der Heilige Georg war zu Beginn des 16. Jahrhunderts ein populärer Heiliger. Oft war ihm Luther in seiner Jugend begegnet: Sein Vater Hans Luder war Mitglied der wohltätigen Georgs-Bruderschaft, als Student wohnte Luther in der Erfurter Georgenburse; St. Georg war der Schutzpatron der Mansfelder Grafen ebenso wie der Schutzpatron Eisenachs. St. Georg war der Inbegriff des „christlichen Ritters“.
Diese Namenswahl war kein Zufall. Zu vieles spricht für dieses Pseudonym. Allerdings: Ob Luther jene Wahl selbst traf, bleibt im Dunkel der Geschichte. Doch ist „Junker Jörg“ offenbar mehr als ein Tarnname gewesen. Denn dieser Name erlaubte es, Luther als Kämpfer zu sehen.
Zeitlebens blieb Luther die Legende vom Drachenkämpfer Georg sympathisch. Der Politikwissenschaftler Prof. Klaus Dicke weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Luther christliches Leben überhaupt als Kampf, Anfechtung und Ringen beschrieben hat. Ein prägnantes Beispiel dafür ist: Luther dichtete als dritte Strophe des Pfingsthymnus „Komm, Heiliger Geist, Herre Gott“:
„O Herr, durch dein Kraft uns bereit / und wehr des Fleisches Blödigkeit, / dass wir hier ritterlich ringen, / durch Tod und Leben zu dir dringen.“
Auch hat Luther in einer Tischrede die Georgslegende erzählt und als „schöne geistliche Deutung vom weltlichen Regiment und Policey“ eingeordnet:
„Die Jungfrau bedeutet die Policey, die wird vom Drachen, das ist, vom Teufel angefochten und verfolget, der will sie fressen. Er plaget sie aber itzt mit Hunger und Theurung, itzt mit Pestilenz, itzt mit Krieg, verschlinget und verwüstet sie, bis ein frömmer Herr und Fürst oder Kaiser kömmt, der ihr helfe, sie errette, und wiederum restituiere und zurecht bringe“.
Klaus Dicke schreibt in einem unveröffentlichten Manuskript dazu:
„Diese kurze Passage enthält Luthers Auffassung vom weltlichen Regiment oder – wie wir heute sagen würden – von Politik. Das Bild Georgs ist also für ihn nichts anderes als eine Allegorie der Politik. Was besagt sie? Die Menschheit ist in der irdischen Pilgerschaft Bedrohungen und Gefährdungen vielfacher Art ausgesetzt: Hunger, Inflation, Krankheit, Krieg. Die Welt ist lebensfeindlich, und das Leben in ihr kurz und immer in Gefahr […]. Geordnetes Leben in der Welt, ein Leben in Sicherheit, bedarf eigener „Restitution“, einer eigenen Ordnungsleistung. Und diese Ordnungsleistung, das wieder Zurechtbringen, ist Aufgabe dessen, was wir heute ‚die Politik‚ nennen.“
Nach Luther gelte: „In der Politik vollzieht sich Gottes Handeln in der Welt, Politik, Herrschaft, ist christlicher Beruf. Das ist eine starke Aufwertung weltlichen Tuns und der Politik im Besonderen, und das reflektiert die Einsicht, dass die politische Bekämpfung all derjenigen Drachen, die unser Leben bedrohen, ein von Gott gewollter, ein Liebesdienst am Menschen ist.“
Der 25. Januar war der Abend, an dem die Hashtags #CandyCrush und #Ramelow auf Twitter trendeten. Und so stellte Franz-Josef Schlichting zu Beginn der Diskussion über die Corona-Krise in Thüringen mit einem Augenzwinkern fest: Man sei auf „Zoom“ und nicht auf „Clubhouse“.
Tatsächlich ging es um echte Probleme bei dieser Online-Veranstaltung, zu der der Leiter der Thüringer Landeszentrale für politische Bildung mit dem Direktor der Evangelischen Akademie Thüringen, Dr. Sebastian Kranich, eingeladen hatte.
Julia Braband, Krankenschwester und Theologiestudentin, meinte: Derlei aufgeheizte Debatten interessierten im Krankenhaus keinen. Das Gesundheitssystem sei krank – und das seit Jahren. Jetzt seien hier alle endgültig an der Belastungsgrenze. Klatschen helfe nicht. Man brauche schlicht mehr Personal.
Ein weiteres Manko war rasch beim Thema Digitalisierung ausgemacht. Ob in den Schulen oder den Gesundheitsämtern – Deutschland fielen hier gerade die Versäumnisse des letzten Jahrzehnts auf die Füße, meinten ganz ähnlich Prof. Karlheinz Brandenburg und Prof. Nikolaus Knoeppfler.
Was die Strategien bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie angeht, ergab sich ein differenziertes Bild. Man müsse in solch einer Situation immer hinzulernen, so die beiden Mitglieder im Corona-Beirat der Thüringer Landesregierung Knoeppfler und Brandenburg. Das große Engagement und der gute Wille aller Beteiligten in Politik und Wissenschaft sei zunächst einmal zu würdigen.
Voraussagen seien schwer zu machen. Und ob der Sommer 2021 schon leichter werde, oder ob erst im Sommer 2022 Entwarnung gegeben werden könnte – darauf könne sich keiner festlegen.
Dennoch müsse in der gegenwärtigen Situation auf besonders belastete Gruppen geachtet und hier Erleichterung geschaffen werden. Etwa für Familien und Kinder, aber auch für Studierende, die ihre Jobs verloren haben, so die Diskutanten.
Die Ambivalenz zwischen Hoffen auf weiter sinkende Zahlen bei den Neuinfektionen und Bangen vor gefährlichen Virusmutationen konnte an diesem Abend niemand auflösen. Auch wenn konkrete Schritte für eine Öffnung bei einer Entspannung der Lage – zunächst von Kindergärten und Grundschulen – ins Auge genommen wurden.
Wie wichtig angesichts dessen eine christliche Hoffnung sei, machte Julia Braband in ihrem Schlussstatement deutlich. Der letzte Eintrag im Chat lautete: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“
Insgesamt verfolgten über 80 Teilnehmende die Diskussion auf YouTube und konnten sich auf Zoom daran beteiligen. Der Livestream wurde aufgezeichnet und ist auf der YouTube-Seite der Evangelischen Akademie hier abrufbar.