Nach endlos scheinenden Monaten des Home-Office und der Zoom-Calls begab sich das Team der Evangelischen Akademie Thüringen – nun endlich wieder in Präsenz – auf eine Klausurtagung.
Drei Tage verbrachten wir im Kloster Volkenroda, das sich im Nordwesten Thüringens, jenseits von Mühlhausen, befindet. Die harmonische Ruhe der Anlage war ein perfekter Ort, um uns als Team zu sondieren und wichtige Fragen zur Zukunft der Akademie zu besprechen.
Wie soll es „nach Corona“ weitergehen? Und sind wir momentan wirklich bereits am Ende der Pandemie? Das sind für viele Menschen aktuell wichtige Fragen. Die Pandemie hatte und hat auch auf die Arbeit der EAT starken Einfluss. In vielen Bereichen mussten wir umdenken und gewohnte Arbeitsabläufe verändern. Daher stand für unsere Klausurtagung die Auswertung von und der zukünftige Umgang mit Themen wie flexiblen Arbeitszeiten- und orten, digitalen Veranstaltungsformaten sowie der langfristigen Planbarkeit von Terminen im Zentrum der Diskussionen. Vor allem eine gewisse Flexibilität in unserer Arbeitsweise möchten wir weiterhin beibehalten. Für uns steht aber auch fest: Präsenzveranstaltungen können niemals vollständig durch digitale Formate ersetzt werden, diese bleiben eine Ergänzung.
Neben dem fachlichen Austausch blieb genügend Zeit, um uns als Gruppe näher kennenzulernen. Eine gemeinsame Waldwanderung, eine Führung durch das Kloster sowie spannende Reiseberichte zweier Kolleg:innen und anregende persönliche Gespräche waren wohltuend und wichtig nach dieser langen Zeit der Trennung.
Voller Tatendrang starten wir nun wieder in den Arbeitsalltag – für manche beginnt allerdings erstmal die Urlaubszeit.
Die Kulturscheune im KulturNaturHof Bechstedt platzte am Freitagabend, den 9. Juli aus allen Nähten: Bis auf den letzten Platz waren Stühle und Holzbänke besetzt und noch immer strömten weitere Besucher:innen durch das Scheunentor. Was gab es denn zu sehen, das so viele Menschen aus dem Ort und der Umgebung anlockte?
Angereist war ein Künstlerduo aus Weimar, Yvonne Andrä und Stefan Petermann, die ihr Buch „Jenseits der Perlenkette“ in Wort und Bild vorstellten. Andrä und Petermann hatten sich in ihrem Projekt zum Ziel gesetzt, die kleinsten, noch selbstverwalteten Ortschaften Thüringens zu besuchen und zu porträtieren. Von ihren Eindrücken und Begegnungen berichten ihre mal nachdenklichen, mal humorvollen Texte und Fotos.
So hörte man an diesem Abend etwa Dorfnamen wie Kleinbockedra, Meusebach, Kühdorf oder Thüringenhausen, erfuhr von Eichstruths Freiwilliger Feuerwehr und Gerstengrunds Kuhställen. Mit den Erzählungen und den Bildern konnten die knapp 60 Anwesenden sehr gut etwas anfangen: zustimmendes Nicken, beteiligte Meldungen und am Ende viel Applaus sowie interessierte Nachfragen bestätigten den Veranstalter:innen, dass das Thema richtig gewählt war.
Für die gemütliche Atmosphäre sorgte nicht nur die Schönheit des Grundstücks mit Garten, auf dem die Kulturscheune zu Hause ist, sondern auch die liebevolle Vorbereitung und Organisation durch Burkhardt Kolbmüller, Dörthe Hagenguth und das Team des Vereins KulturNaturHof Bechstedt e.V., die es auch an Getränken, Bratwurst und freundschaftlichem Austausch nicht fehlen ließen.
Die Lesung in Bechstedt war der Auftakt einer von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen geförderten und der Evangelischen Akademie Thüringen mitorganisierten Reihe, die mit „Jenseits der Perlenkette“ in ländlichen Orten abseits der Thüringer Städte zum Gespräch aufruft. Weitere Termine in der zweiten Jahreshälfte sind: Kölleda am 1. September, Walldorf am 12. Oktober, Neudietendorf am 21. Oktober und Themar am 2. Dezember.
1521: Auf dem Rückweg von Möhra nach Eisenach vertreten sich Martin Luther und sein Reisegefährte Nikolaus von Amsdorff auf einer Waldlichtung die Beine. Sie sprechen über die Ereignisse des Reichstags in Worms, als ihnen plötzlich eine Gruppe Bewaffneter den Weg verstellt. Man wolle Luther mitnehmen, auf Geheiß des Kurfürsten, so heißt es. Noch während Luther und Amsdorff protestieren, taucht wie aus dem Nichts eine Gruppe Jugendlicher auf, die sich zwischen sie und die Wegelagerer stellt. Als sei Luthers Verwirrung dann nicht schon groß genug, erscheinen auch noch weitere Personen, die von sich behaupten, ihn in Sicherheit bringen zu wollen. Was wird hier gespielt und wer sagt die Wahrheit?
So oder so ähnlich mag es (vielleicht) gewesen sein, als Martin Luther zum „Junker Jörg“ wurde und im Exil das Neue Testament ins Deutsche übersetzte. Im Adventure Game „Im Schatten des Drachen“, das vom 2. bis 4. Juli in Eisenach stattfand, spürte eine Gruppe Jugendlicher dem Schicksal Junker Jörgs nach und sorgte dafür, dass die Geschichte jenen Lauf nahm, den wir kennen. Im Spiel schlüpften sie dazu in die Rollen frisch gebackener Zeitagentinnen und -agenten, die im Auftrag einer Zeitreiseagentur in die Vergangenheit sprangen. In einzelnen Episoden, die im 16. Jahrhundert zu Stationen des Lebens Martin Luthers spielten, mussten sie die Pläne des „Drachens“ und seiner Schergen vereiteln, die die Reformation verhindern wollten. So galt es im März 1518 etwa, dafür zu sorgen, dass Luther seinen „Sermon von dem Ablass und Gnade“ in Druck geben konnte, bevor der Drache das Manuskript gegen eine Fälschung austauschte. Bei der Entführung im Glasbachgrund 1521 mussten die Teilnehmenden verhindern, dass Luther von den falschen Entführern mitgenommen, statt von den Dienern Friedrichs des Weisen auf die Wartburg gebracht wurde.
Auf der Burg schließlich ging es um ein Ränkespiel mit (falschen) Informationen: Als Junker Jörg schickte und erhielt Luther zahlreiche Briefe, die vom Drachen gegen Fälschungen ausgetauscht und von den Jugendlichen rechtzeitig identifiziert werden mussten. Beim großen Finale auf dem Burghof konnte der Bösewicht dann jedoch festgenommen und der Zeitagentur übergeben werden. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich außer den Spielenden bereits keine Besucher mehr auf der Wartburg – gewissermaßen ein „historischer Moment“ für alle Beteiligten, denn nie zuvor hatte auf der über 900 Jahre alten Burg ein ähnliches Abenteuerspiel stattgefunden.
Am Sonntag nach dem Spiel waren alle Teilnehmenden daraufhin zu einer gemeinsamen Reflexion darüber eingeladen, was sie im Spiel erlebt hatten und welche Themen und Inhalte sie daraus auf ihre persönliche Realität übertragen konnten. So kamen beispielsweise Fragen auf über die Zeit, in der Luther gelebt hat, die Reformation und ihre Bedeutung für die heutige Gesellschaft, den Umgang mit Informationen und Fake News oder auch die Möglichkeiten, wie jeder Mensch mit seinem Handeln Veränderung herbeiführen kann.
Kein „Tor!“-Schrei war am Abend des EM-Spiels Deutschland gegen England in Weimar zu hören. Doch auch in der Jakobskirche ging es beim Borchert-Abend am 29. Juni zunächst um Fußball. Akademiedirektor Dr. Sebastian Kranich begrüßte mit Worten aus Wolfgang Borcherts Erzählung „Die lange lange Straße lang“:
„Hin und wieder schrein sie los. Links auf dem Fußballplatz. Rechts in dem großen Haus. Da schrein sie manchmal los. Und die Straße geht da mitten durch. Auf der Straße geh ich. Ich bin Leutnant Fischer. Ich bin 25. Ich hab Hunger. Ich komm von Woronesch.“
Auch Prof. Dr. Hans-Jürgen Benedict begann seinen Vortrag mit jener Passage, in der abwechselnd „Tor“ – beim Pokalspiel – und „Barrabas“ – bei der Matthäuspassion in der Kirche – geschrien wird. Sie endet mit den Worten: „Begraben ist die Infantrie unterm Fußballplatz, unterm Fußballplatz“.
Borcherts beißende Kritik an Hoch- und Massenkultur, in der es weiterging als sei nichts gewesen – bis zum „wir sind wieder wer“ beim WM-Sieg 1954 und darüber hinaus, bildete den Auftakt zu einem konzentrierten und tiefgründigen Abend.
Anlass des Abends war zum einen der 100. Geburtstag des Dichters, zum anderen seine dreimonatige Zeit im Sommer 1941 in der Kaserne Weimar-Lützendorf, in „einem der schönsten Zuchthäuser des Dritten Reiches“, wie Borchert offen auf einer Postkarte schrieb.
Prof. Benedict stellte Borcherts Auseinandersetzung mit der Gottesfrage in den Mittelpunkt seines Vortrags. Und er kontrastierte sie mit Bonhoeffers Auseinandersetzung. Beiden sagten traditionelle Redeweisen angesichts des NS-Schreckens kaum mehr etwas. Beide erlebten Gott als ohnmächtig und schwach. Und beide suchten dennoch Hilfe und Halt. Der Theologe Bonhoeffer fand diesen im mitleidenden Gott. Der kriegstraumatisierte Borchert aber konnte in Gott, dem „weinerlichen alten Mann“, keinen Halt finden.
Im Gespräch wurde gleichwohl jene religiöse Seite Borcherts deutlich, die man als mystisch oder als pantheistisch verstehen kann. Borchert findet „das Leben“ in einer Hundeblume. Selbst imaginiert er sich nach seinem Tod als leuchtende Laterne.
Eindrücklich gestaltete der Jazzmusiker Christoph Bernewitz den Abend mit Improvisationen und eigenen Songs nach Borchert-Texten. Zum Abschluss waren zwei geplant. Aber schon nach dem ersten der beiden war alles gesungen und gesagt:
„Wenn ich tot bin, / möchte ich immerhin / so eine Laterne sein, / und die müßte vor deiner Türe sein / und den fahlen / Abend überstrahlen.“
Das Thema hat hohe Konjunktur: Verschiedene Parteien kündigen vor der Bundestagswahl an, die Grundsicherung, besser bekannt als Hartz IV, umbauen oder sogar abschaffen zu wollen. Den dafür zuständigen Behörden, den Jobcentern, könnte ein tiefgreifender Wandel bevorstehen. Daher hatte der Evangelische Verband Kirche-Wirtschaft-Arbeitswelt (KWA), dem der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt (KDA) der EKM angehört, mit der Diakonie Deutschland zur Online-Fachtagung „Jobcenter der Zukunft – Existenzsicherung neu denken“ eingeladen.
Mehr als 150 Interessierte aus Kirche, Diakonie, Verbänden, Parteien und sozialen Trägern nahmen an der Online-Fachtagung am 25. Juni 2021 teil. Ziel der Veranstaltung war es, unterschiedliche Blickwinkel auf die Situation der Langzeitarbeitslosen und Erfahrungen mit dem Jobcenter zu diskutieren. Während der Fachtagung wurde das Positionspapier der Diakonie Deutschland „Existenzsicherung neu denken – Hartz IV überwinden“ ebenso zur Diskussion gestellt wie der druckfrische KWA-Report „Jobcenter der Zukunft“. Die arbeits- oder sozialpolitischen Sprecher:innen von fünf Bundestagsfraktionen reagierten auf diese Vorschläge und erläuterten die Positionen ihrer Parteien. Daneben kamen die Blickwinkel von Leistungsberechtigten, Mitarbeitenden und Geschäftsleitung von Jobcentern, Wissenschaft sowie diakonischen Trägern zur Sprache. Holger Lemme, Studienleiter für Arbeit und Wirtschaft sowie Referent für den KDA der EKM, war einer der Moderator:innen der Veranstaltung. Die Online-Fachtagung ist auf dem Youtube-Kanal der Evangelischen Akademie Thüringen in voller Länge abrufbar.
Der KWA-Report „Jobcenter der Zukunft. Perspektiven auf eine umstrittene Behörde“ wurde vom Bundesausschuss Erwerbslosigkeit, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik erstellt, dessen Sprecher Holger Lemme ist. Der Bundesausschuss hat bundesweit 30 Interviews mit Menschen geführt, die das Jobcenter selbst intensiv erleben: Erwerbslose, Jobcentermitarbeitende und Verantwortliche aus sozialen Einrichtungen. Der KWA-Report ist ein Beitrag zur politischen Debatte, denn er macht Vorschläge für ein Jobcenter, das Menschen motiviert statt bestraft, Abläufe vereinfacht statt verkompliziert und Armut bekämpft statt verfestigt.
Wir müssen da nochmal ran: Diese Einsicht wurde im Laufe der Tagung über die NS-Symbolik in unseren Kirchen vom 18.-20. Juni in Neudietendorf immer klarer. Zwar hat das, was 2017 mit der Debatte um die „Hitler-Glocke“ in Herxheim am Berg (Rheinland-Pfalz) begann und 2018 die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) erreichte, bereits zu Konsequenzen geführt:
Die „Nazi-Glocke“ aus Tambach-Dietharz steht im Museum Lutherhaus in Eisenach, die aus Rettgenstedt ist abgenommen und wird in eine Ausstellung vor Ort integriert. Und geläutet wird keine der neun Glocken in der EKM mehr, die die Jahrzehnte in Kirchtürmen überdauert hatten.
Aber die Geschichte ist damit nicht erledigt. Denn Geschichte lässt sich überhaupt nicht „erledigen“, nicht immer „bewältigen“. Aber aufarbeiten lässt sie sich. Dafür stehen wir als Zeitgenossen jetzt in der Verantwortung, wie auch immer die Verantwortlichen in den letzten Jahrzehnten mit dem „Braunen Erbe“ umgegangen sind.
Denn das Problem sind nicht nur ein paar Glocken. Und ein Schleifgerät, mit dem man die Inschrift, das Hakenkreuz oder das Hitler-Bild entfernt, ist auch nicht die Lösung.
Ganz Offensichtliches lässt sich vernichten. Und so kamen die Schleifgeräte schon 1945 zum Einsatz. Doch vieles, was wir aus der Nazi-Zeit geerbt haben, wird gar nicht als „Braunes Erbe“ erkannt. Architektur bleibt oft unerkannt stehen. Und wer vermutet schon in einer hübschen Blümchenwiese an der Kirchendecke den „NS-Heimatschutzstil“, wenn ihm nicht irgendwann die kleinen Hakenkreuze in der Wiese auffallen?
Das Erbe als solches überhaupt erst einmal zu erkennen, wurde auf der Tagung als Aufgabe formuliert. Wenn etwa Maria und das Jesuskind plötzlich „arisch“ hell erblonden oder der Gekreuzigte wie ein Body-Builder aussieht, sind das Indizien für NS-Kunst.
Dazu kommt das, was fehlt. Denn Davidsterne und hebräische Schriftzeichen wurden im Dritten Reich aus Kirchen entfernt, letztere etwa mit dem Argument, einfache Leute könnten diese ohnehin nicht lesen. Doch muss man z. B. schon auf alte Fotos schauen, um zu erfahren, was einmal da war. So wie beim hebräischen Gottesnamen auf dem Altar in der Marienkirche in Bad Berka, der jetzt wieder angebracht ist.
Über den engeren Zeitraum 1933-45 hinaus bleibt auch der Umgang mit den Kriegstoten virulent. Denn Kriegerdenkmale in vielen Orten transportieren in Form, Gestaltung und Inschriften einen Geist, der militaristisch-heldenverehrend oder auch mahnend-opfergedenkend weht. Zum Umgang mit den Denkmalen äußerte der Historiker Dr. Justus H. Ulbricht:
Für die „zivilgesellschaftlichen oder offiziösen Debatten ist die Weiterexistenz dieser Denkmäler als Denkanstoß und Zeitzeichen unverzichtbar und wichtig. Wer nach der Abrissbirne ruft, ohne die eigene einzuschalten, ist – so meine ich – auf dem Holz- oder Irrweg einer erinnerungskulturellen Praxis, die meint, das Vergangene aus dem Blickwinkel der je eigenen Gegenwart korrigieren oder zum Verschwinden bringen zu müssen.“
Den Beitrag von Justus H. Ulbricht können Sie hier nachlesen.
Wir müssen noch einmal ran. Und wir gehen noch einmal ran. Wissenschaftlich sollen in einem Projekt am Lehrstuhl für Kirchengeschichte an der FSU Jena die „Nazi-Glocken“ erforscht werden. Praktisch ist eine Weiterbildungsveranstaltung für Ehrenamtliche, Pfarrerinnen und Pfarrer sowie die Erstellung einer Handreichung für die Praxis geplant.