Die Kirchen verlieren an Relevanz. Vieles scheint diese These zu bestätigen: die nostalgische Retrospektive, die gegenwärtigen Austritte, die düsteren Prognosen. Doch die Wirklichkeit ist komplexer.
In der neuerschienenen epd-Dokumentation zu einer Akademie-Tagung im Herbst 2023 in Neudietendorf lesen Sie Beiträge des Politologen Prof. Dr. Klaus Dicke über die „Freiheit von und zu Religion – Im Spannungsfeld von Staat, Gesellschaft, Religionsgemeinschaften und Individuum“ und des sächsischen Diakonie-Chefs Dietrich Bauer zu „Subsidiarität im sozialen Bundesstaat – Gegenwart und Zukunft der freien Wohlfahrtspflege“. Unter der Überschrift „Keine konsequente Neuorientierung, aber neue Akzentsetzungen“ präsentiert der Ethiker Prof. Dr. Reiner Anselm „Überlegungen zur Friedensethik“ und die ehemalige Thüringer Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht reflektiert anlässlich des 65. Geburtstags von Dr. Thomas A. Seidel „über christliche Existenz im Spannungsfeld von Kirche und Politik“. Abgerundet wird das Heft mit einer Predigt des letzteren zu „Galater 5, 1. 5-7. 13-14 in Verbindung mit ‚Von der Freiheit eines Christenmenschen‚ von Martin Luther (1520)“. Die Einleitung zum Tagungsthema „im Licht des Wartburg-Kreuzes“ steuert Akademiedirektor Dr. Sebastian Kranich bei.
Publikation:
Kirche. Politik. Medien. Relevanzverluste und Bedeutungsgewinne. Beiträge zu einer Tagung der Evangelischen Akademie Thüringen vom 15. bis 16. September 2023
„Meine Frauengruppe hat mich beauftragt, ein Rezept gegen die Angst vor dem Sterben und dem Tod mitzubringen. Nun sagen Sie doch mal.“ Mit dieser Wortmeldung herrschte plötzlich Heiterkeit im Raum. Ein Teilnehmer meldete sich. Er müsse schnell mal googeln. Diesen Satz von Epikur. Und schon hatte er ihn: „Solange wir da sind, ist der Tod nicht da, wenn aber der Tod da ist, dann sind wir nicht da.“ Wem es hilft, bemerkte eine andere Frau halblaut. Und am Ende der Diskussion über vielfältige Vorstellungen und Bilder beim Umgang mit der Todesangst konstatierte ein weiterer Mann – nicht ohne Widerspruch zu ernten – das seien doch alles Projektionen. Außerdem: Er selbst habe schon oft erlebt, dass Menschen sterben, dabei aber nie an seinen eigenen Tod gedacht, auch jetzt nicht.
Recht munter und kontrovers ging es zu nach den Vorträgen auf der Tagung „Mein Umgang mit der (Un-)Endlichkeit. Angst- und Hoffnungsbilder im Gespräch“ vom 16. bis 17. Februar im Zinzendorfhaus Neudietendorf. In den Gesprächsgruppen über die eigenen Erfahrungen mit dem Tod und eigene Bilder und Vorstellungen über den Tod hinaus war die Atmosphäre anders. „Wann sind Sie das letzte Mal dem Tod begegnet?“ Auf diese Einstiegsfrage gab es Antworten wie: „Heute auf der Intensivstation. Ich arbeite dort.“ Oder: „Vor zwei Jahren. Beim Tod meiner Mutter zu Corona-Zeiten.“ Damit war der Ton gesetzt, auch wenn es gar nicht so leicht ist, in einer Gruppe über längere Zeit „über sich“ und nicht „über etwas“ zu reden. Viele sehr intime, persönliche, schmerzhafte, liebevolle und kleine Momente der Hoffnung wurden hier geteilt.
Doch was war nun mit dem Rezept? Einst teilte der Kirchenvater Ignatius von Antiochien den Ephesern brieflich mit: Das Abendmahl sei die „Medizin der Unsterblichkeit“ – ein „Gegengift gegen den Tod“. Sollte das jemals grob-materiell verstanden worden sein, so wäre uns modernen Menschen eine solche Auskunft wenig zugänglich. Vielmehr erleben wir uns in unserem Zugang zur Wirklichkeit oft in einer Spannung: Zwischen naturwissenschaftlicher Erkenntnis, die den Tod als Ende definiert. Und einem „zärtlichen, weinenden, taumelnden, emotionalen Geist“, wie der US-amerikanische Psychoanalytiker und Psychotherapeut Irvin D. Yalom nach dem Tod seiner Ehefrau schrieb, der sich nach den Verstorbenen sehnt, der fühlt und hofft und glaubt und zweifelt und sich gewiss ist.
Ein Rezept gegen Todesangst? Das gab es nicht, doch ein paar Hinweise: Meiden Sie das Thema nicht. Gehen Sie auf Friedhöfe. Besuchen Sie Trauerfeiern und nehmen Sie Kinder ab vier Jahren mit. Beherzigen Sie den Satz: „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Und kommen und bleiben Sie angesichts des Sterbens, des Todes und in Trauer miteinander im Gespräch und im Kontakt – in der Frauengruppe und anderswo.
Auf dem Gang der Evangelischen Akademie Thüringen führen insgesamt elf Türen in die Büros der Mitarbeitenden. Genau in der Mitte findet man neuerdings Mandy Kreyßler, die seit 8. Januar diesen Jahres als Tagungsassistentin unser Team bereichert. Dass sie im täglichen Bürogeschehen mittendrin sitzt, ist genau richtig, denn für die Organisation von Veranstaltungen braucht es ständig enge Absprachen sowohl mit den Studienleitenden, als auch mit den anderen Tagungsassistenzen, der Geschäftsführung und der Buchhaltung.
Wie waren die ersten fünf Wochen für die neue Kollegin, wie lief die Arbeit für sie an? Ihr erster Eindruck: erstaunlich entspannt! Vor allem genießt sie es, nach der langjährigen Beschäftigung als Filialleiterin eines großen Drogeriemarktes, in dem anfallende Arbeiten am PC immer nebenher laufen mussten, dass nun Schreibtischtätigkeiten einen festen Platz, ausreichend Zeit und Aufmerksamkeit erhalten, also statt einer Nebensächlichkeit zum täglichen Hauptgeschäft geworden sind. Ebenso gefällt ihr das Zusammenarbeiten im Team: „Ich bin von allen sofort nett aufgenommen worden und immer hilft mir jemand weiter, wenn es Fragen bei der Einarbeitung gibt“.
Sehr gespannt ist Mandy Kreyßler schon auf die kommenden Veranstaltungen. Wie wird es sein, die erste Tagung allein zu betreuen? Wie wird die Begegnung mit den Menschen sein, die teilnehmen oder mitwirken – zum Beispiel bei der anstehenden Schreibwerkstatt oder der Arbeitszeitkonferenz im März?
Dass die gebürtige und dort verheiratete Arnstädterin für ihre neue Stelle täglich nach Neudietendorf kommt, bewertet sie als besonders positiv: „Es ist so schön hier im Ort, vor allem auf dem Gelände des Zinzendorfhauses. Man geht unten durchs Gartentor, die Vögel zwitschern und man fühlt sich fast wie im Urlaub.“
Das gesamte Team der EAT freut sich über den Zuwachs und heißt Mandy Kreyßler herzlich willkommen!
Am 12. November 2023 ist die Theologin, Psychologin und Autorin Jutta Kranich-Rittweger verstorben. Geboren am 14. August 1961 in Schleiz, wuchs sie im ostthüringischen Schöndorf, in Weida und in Schleiz auf. Wegen ihrer Herkunft aus einem evangelischen Pfarrhaus wurde ihr das Abitur verwehrt. So erlernte sie zunächst den Beruf des Apothekenfacharbeiters. Nach Bestehen einer Sonderreifeprüfung 1981 nahm sie das Studium der Evangelischen Theologie in Jena auf. Hier beteiligte sie sich erstmals an oppositionellen Aktionen und Demonstrationen.
An der Theologischen Fakultät der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg setzte K-R. ihr Studium fort. Nach dessen Abschluss 1987 hatte sie eine Assistentur am dortigen Institut für Konfessionskunde der Orthodoxen Kirchen inne. Sie gründete im privaten Raum einen Literaturkreis sowie einen Geschichtskreis, die von der Staatssicherheit überwacht wurden. Ab 1989 war K-R. neben ihrer Assistentur Vikarin an der Marktkirche Halle. Hier, im städtischen Zentrum der Friedlichen Revolution, engagierte sie sich im Tag- und Nachteinsatz.
Im Umbruch von Gesellschaft und Kirche entfaltete sie anschließend eine blühende Arbeit mit Jugendlichen und wehrte sich gegen die bloße Übernahme des westdeutschen Kirchenmodells auf den Osten. 1990 sprach sie sich gegen die Einführung des staatlichen Kirchensteuereinzugs aus, da dieser nicht zur vorfindlichen Minderheitensituation passe. 1991 wurde sie ordiniert. 1993 erklärte sie gegenüber dem Amtsgericht formal ihren Kirchenaustritt und überwies stattdessen ein Zehntel ihres Einkommens an ihre Kirchgemeinde, was zu heftigen Diskussionen in der provinzsächsischen Landeskirche und der EKD führte.
In diesem Kontext schrieb sie unter der Überschrift „Christsein ist meine existentielle Mitteilung“ in einem Typoskript: „Wir haben im Umgang miteinander die Worte verloren und lassen dafür die Gesetze sprechen. Wir gehen den Weg des geringsten Widerstandes, der Anpassung. Wir wissen immer schon, was realistisch ist und daß diese Welt und Kirche sich eigentlich nicht ändern darf, aber das, was heute Realität genannt wird, werden wir uns keine 40 Jahre mehr leisten können.“ Doch die von ihr und anderen vorgeschlagenen Alternativen zum Einzugssystem bekamen keine Chance. Um ihren Beruf weiter ausüben zu können, trat K-R. ihrer Kirche formell wieder bei.
Beruflich rehabilitiert (Gesetz über den Ausgleich beruflicher Benachteiligungen für Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet) studierte sie ab 1995 Medizin bis zum Physikum und Psychologie. Parallel dazu arbeitete sie als Seelsorgerin und nach ihrem Abschluss im Jahr 2000 als Psychologin und Psychotherapeutin in der Klinik für Strahlentherapie der Medizinischen Fakultät der Universitätskliniken Halle. Die Arbeit dieser Jahre fand ihren wissenschaftlichen Niederschlag in der interdisziplinären Promotion zum Dr. theol. „Hoffnung als existentielle Erfahrung am Beispiel onkologischer Patienten in der Strahlentherapie“ (gedruckt 2007).
2007 ließ sich K-R. in Halle in eigener Praxis als Psychotherapeutin nieder mit den Schwerpunkten: Verhaltenstherapie, Psychoonkologie, Psychodiabetologie, klinische Hypnose, Supervision und Paartherapie. Als ordinierte Pfarrerin hielt sie weiterhin Gottesdienste und Kasualien und gehörte zum Kreis der Engagierten der Friedensgebete an der Marktkirche. Die Berufsarbeit jener Zeit erbrachte als wissenschaftlichen Ertrag das Buch „Vom Umgang mit der Todesangst. Empirische Untersuchungen und ihre praktische Relevanz“ (2020).
2018 zog sie mit ihrem Ehemann, dem Theologen Dr. Sebastian Kranich – im Zuge von dessen Berufung als Direktor der Evangelischen Akademie Thüringen – nach Weimar, wo sie in einer onkologischen Gemeinschaftspraxis weiterhin schwerpunktmäßig mit Krebspatienten arbeitete.
Als Schriftstellerin debütierte K-R. spät. Im Mitteldeutschen Verlag Halle veröffentlichte sie einen Erzähl- und einen Gedichtband: „Die Einsamkeit des Kindes“ (2019) und „Haufenwerfer“ (2021). Ein dritter Band mit Prosa und Lyrik soll posthum erscheinen.
In die Arbeit der Evangelischen Akademie brachte sie sich vor allem mit Veranstaltungen zu Sterben, Tod und dem Danach ein. Die Akademie-Online-Buchvorstellung „Vom Umgang mit der Todesangst“ ist auf unserem YouTube-Kanal abrufbar. Überdies las sie bei Tagungen aus ihrem Band „Die Einsamkeit des Kindes“. Ein Podcast von Valentine Weigel mit ihr über „Einsamkeit und Hoffnung“ vermittelt einen Eindruck von ihrem Denken. Zudem ist gerade ein biobibliografischer Artikel über sie im Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikon erschienen.
Von sich selbst sagte K-R.: „Ich bin ein spiritueller und politischer Mensch“. Ihr Grab befindet sich auf dem Friedhof in Schöndorf bei Schleiz. Als Grabstein-Inschrift bestimmte sie: „Dr. Jutta Kranich, geb. Herden“ sowie in Anlehnung an Joh 6,68: „Wohin soll ich gehen? Du hast Worte ewigen Lebens.“
In der vergangenen Woche kamen 19 Schülerinnen und Schüler des Evangelischen Ratsgymnasiums Erfurt in die Jugendbildungsstätte Junker Jörg und beschäftigten sich mit der Frage: Wie war es, in der DDR aufzuwachsen? In einer Stadtführung, in einem Zeitzeugengespräch, beim Filmabend und mit dem Spiel „Allersleben“ näherten sich die Jugendlichen dieser Frage an und entdeckten dabei vielfältige (Lebens-)Geschichten.
Es ist 1986 in Thüringen. Peggy ist 13 und geht in die 8. Klasse der Polytechnischen Oberschule in Allersleben. In ihrer Freizeit engagiert sie sich in der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und plant Veranstaltungen für ihre Jugendfreunde. Sie wird von den Lehrern häufig für ihren Einsatz gelobt. Doch dann, als die Wahl zum FDJ-Sekretär der Klasse ansteht, bekommt nicht sie den Posten, sondern Torsten – der Faulpelz. Nur, weil seine Eltern in der Partei sind.
Dirk ist in Peggys Klasse. Er interessiert sich nicht für die Wahl zum FDJ-Sekretär und insgesamt für die Schule nur so viel wie unbedingt nötig. Dirk konzentriert sich ganz auf seinen Sport: Schwimmen. Er träumt von Olympia oder zumindest dem Sportgymnasium. Als Gerüchte um Doping und seinen Trainer aufkommen, ist er sich sicher, das durch ein offenes Gespräch aus der Welt schaffen zu können. Aber sein Trainer wird furchtbar wütend und auf einmal ist Dirk beim Training ständig außen vor. Irgendwann reicht es ihm und er plant beim Sommerlager zu fliehen. Er will über die Ostsee in den Westen schwimmen. Andere sollen es schon geschafft haben…
Wieder anders ergeht es der Klassenkameradin Jenny, die Schlagzeugerin in einer Bluesband ist. An sich total super! Aber in der Band gibt es ständig Streit darum, ob sie auf Englisch singen sollen, wie ihre großen Idole aus den USA, oder lieber auf Deutsch, weil das weniger Ärger gibt und so auch mal ein Auftritt bei einem Schulfest drin wäre. Der Dauerkrach belastet die Freundschaft und sorgt auch nicht gerade für musikalische Höhenflüge.
Peggy, Dirk und Jenny hat es so nie gegeben, aber im Spiel Allersleben entwickeln die Schülerinnen und Schüler ihre Geschichten, wie sie hätten sein können in den 1980ern in der DDR. Dabei zeigt sich, wie unterschiedlich Menschen das Leben in der DDR empfinden und wie weit die Diktatur in die Lebensentwürfe und den Alltag eingreift und das Leben prägt. Gleichzeitig erspielen sich die Jugendlichen aber auch Freiräume und werden kreativ, um dennoch ihren Träumen und Ideen nachzugehen.
In Ergänzung zum Spiel führten die Jugendlichen ein Gespräch mit Berthold Dücker , ehemaliger Chefredakteur der Südthüringer Zeitung. Als 16-Jähriger floh er aus der DDR. „Das ist meine geliebte Heimat, aber nicht mein Land“, fasste er im Gespräch seine Motivation zusammen, die Gefahr auf sich zu nehmen. Seine emotionale und bildreiche Beschreibung beeindruckte die Jugendlichen zutiefst. Eindringlich auch Dückers Apell zum Abschluss: „Demokratie ist kein Naturgesetz!“ Es sei oft anstrengend und manchmal sogar gefährlich für die eigenen Überzeugungen einzustehen und dennoch sei es nötig, die Demokratie und die individuelle Freiheit durch Engagement zu bewahren.
Ja, die Aggressionen haben quantitativ wie qualitativ zugenommen, stellten Polizeihauptkommissar Thomas Scholz aus Eisenach und die Leiterin des Ordnungsamtes Weimar, Ute Stoll, fest. Letztere ergänzte: Vor einiger Zeit hätten Menschen bei Auseinandersetzungen noch eine gewisse Distanz gewahrt. Jetzt würden sie – thüringisch gesprochen – ihren Leuten richtig „auf die Pelle“ rücken.
Und der Präsident des Thüringer Verfassungsgerichtshofs Dr. Klaus von der Weiden meinte: Hätten viele früher als Untertanen ungut vor Uniformen gekuscht, so sei das Pendel nun in Richtung Rücksichtslosigkeit und Egozentrik ausgeschlagen.
Auf einem Akademie-Podium im Rahmen der Ausstellung „Der Mensch dahinter“ in Erfurt wurden solche Anfeindungen, Übergriffe, verbale und tätliche Attacken gegen Einsatz- und Rettungskräfte diskutiert.