Zugegeben, es ist kein rundes Jubiläum: Vor 14 Jahren wurde das Evangelische Zentrum Zinzendorfhaus in Neudietendorf nach der Sanierung neu eröffnet. Der 2. September ist seither ein guter Anlass für die Mitarbeitenden der verschiedenen hier angesiedelten Einrichtungen, sich zu treffen. Das Jubiläum wird jedes Jahr mit einem Mitarbeitendenfest gefeiert, und zugleich werden die neuen Kolleginnen und Kollegen im Zentrum vorgestellt.
In diesem Jahr wurde zu dieser Gelegenheit ein Umweltaktionstag organisiert: „Reparieren statt Wegwerfen und Selber machen statt Kaufen“ war das Motto. In verschiedenen Workshops konnten praktische Tipps und Ratschläge ausgetauscht werden. So war etwa das RepairCafe Gotha präsent, eine Näh-Werkstatt half dabei, Kleindung zu reparieren, und während einer Kräuterwanderung wurden die Schätze im Garten des Zinzendorfhauses entdeckt. Auch wurden die Fahrräder einiger Mitarbeitenden durchgesehen und repariert. Diese Aktivitäten haben die Beschäftigten angeregt, um ganz konkret im eigenen Haushalt Nachhaltigkeit zu praktizieren – zu reparieren, instandzuhalten und selbst zu produzieren. Und zugleich konnte damit die Philosophie des Evangelischen Zentrums transportiert werden, dessen Umweltmanagementsystem seit acht Jahren mit dem Siegel „Der Grüne Hahn“ zertifiziert ist.
1945 war nicht alles vorbei. Zwar wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, den Nazi-Deutschland am 1. September 1939 mit dem Überfall auf Polen begonnen hatte, vielerorts zum Meißel, zum Schleifgerät, zur Rasierklinge oder zum Pinsel gegriffen, um NS-Symbole zu entfernen. Doch manches von damals hat bis heute überdauert.
Denn etliches, was wir aus der Nazi-Zeit geerbt haben, wird bisweilen gar nicht als „Braunes Erbe“ wahrgenommen. NS-Architektur bleibt oft unerkannt stehen. NS-Kunst erscheint manchmal als schön. Wer etwa vermutet schon in einer hübschen Blümchenwiese an der Kirchendecke den „NS-Heimatschutzstil“, wenn ihm nicht irgendwann die kleinen Hakenkreuze in der Wiese auffallen?
Nach der Einführung in das Tagungsthema durch Dr. Sebastian Kranich (Direktor der Ev. Akademie Thüringen), Dr. Jochen Birkenmeier (Direktor des Lutherhauses Eisenach) und Prof. Dr. Christopher Spehr (Kirchenhistoriker, FSU Jena) referierte Dr. Beate Rossié (Berlin) über „Kirchenbau und Kirchenkunst in der Zeit des Nationalsozialismus. Zeitspezifische Ästhetik und ideologische Prägungen“.
Das anschließende Podiumsgespräch „Bau und Kunst. Zur NS-Umgestaltung von Dorfkirche bis Quedlinburger Stiftskirche in Preußen und Thüringen“ bestritten Elke Bergt (Baureferentin der EKM), Prof. Dr. Claudia Rückert (Kunstgutreferentin der EKBO) und Dr. Ekkehard Steinhäuser (Direktor des Pädagogisch-Theologischen Instituts der EKM).
Anders als eine Blümchenwiese ist ein Hakenkreuz auf einer Glocke offensichtlich. Beim Podium „Nazi-Glocken: Schweigen. Flexen. Zeigen. Ersetzen: Wie weiter?“ kristallisierte sich für den praktischen wie geistigen Umgang mit NS-Glocken heraus:
Flexen und Zerstören ist keine gute Idee. Schweigen ist nur gut, wenn damit das Schweigen solcher Glocken für immer gemeint ist. Dagegen sind Ersetzen und Zeigen angezeigt, wie bei der Glocke aus Tambach-Dietharz, die im Museum Lutherhaus ausgestellt ist und am Ursprungsort selbst durch eine neu gegossene Glocke ersetzt wurde.
Ab jetzt sind die genannten Vorträge und Diskussionen – als erster Teil einer dreiteiligen Serie – online abrufbar:
Schon zum vierten Mal seit Ende des ersten Lockdowns trafen sich zur Veranstaltung „Literarischer Garten“ Lesefans zu einem Austausch über ihre jüngst getätigten oder noch währenden Lektüren. Der Veranstaltungsort unter freiem Himmel, im Garten des Zinzendorfhauses Neudietendorf, schien bei den diesjährigen, sehr launischen Wetterumschwüngen gewagt, doch am späten Nachmittag des 25. August zeigte sich die Sonne von ihrer besten Seite – als wolle sie mithören, was sich nach Angaben der zusammengekommenen Gruppe zu lesen gerade lohnt.
Falls sie mitgeschrieben hat, wird sie sich recht bald an den Roman Was man von hier aus sehen kann (2017) heranmachen, aus dem zur Freude aller Anwesenden einige Ausschnitte vorgelesen wurden und dessen Autorin Mariana Leky auch schon durch frühere Titel beim Publikum beliebt zu sein schien. Gefallen finden wird nicht nur sie, die stille Zuhörerin Sonne, an dieser Geschichte, vor allem, wenn sie sich für das Leben auf dem Lande interessiert. Und sicher ist ihr der treffliche Zusatz auf der Rückseite des Buchcovers in Erinnerung geblieben: „von der unbedingten Anwesenheitspflicht im eigenen Leben“.
Aufmerken konnte sie auch beim Hinweis auf das sehr umfangreiche – über 1092 Seiten! – biografische Buch Havemann (2007), in dem Florian Havemann über seinen Vater Robert, bekannter Regimekritiker in der DDR, schreibt. Eindrücklich fand man beim Zuhören einiger Beispielstellen vor allem die kreisende, sich wiederholende Sprache, die sich assoziativ von Satz zu Satz hangelt, so dass man beim Lesen das Gefühl hat, Zeuge einer Entstehung von Zusammenhängen und Erkenntnissen zu werden.
Allen Anwesenden wurde ein Privileg zuteil, dass es schon einmal, nämlich beim ersten Literarischen Garten gab: aus einem noch unveröffentlichten Manuskript vorgelesen zu bekommen, das hoffentlich auch bald gedruckt vorliegen wird. Verraten wird nur so viel: Es handelt sich um einen Romanerstling eines Weltreisenden, der sich ein Thüringer Dorf im Spätsommer 1988 zum Schauplatz seiner Erzählung gewählt hat.
Auch zwei „Wiederfunde“ waren bei den Buchvorstellungen dabei: Ein Teilnehmer entdeckte Heinrich Bölls Ansichten eines Clowns, zuletzt als Jugendlicher gelesen, noch einmal neu und anders für sich – in diesem Zuge sprach die Runde eine längere Weile über die Bedeutung Bölls heutzutage, seine Gabe der hautnahen Veranschaulichung der Nachkriegszeit und persönliche Lieblingstitel aus seinem Werk. Eine Teilnehmerin fand dagegen einen von ihr bis dato nicht sehr beachteten Autor, John Grisham, bei näherer Lektüre des Bestsellers Die Jury (1992 in dt., 1989 im engl. Original), besonders im Hinblick auf Rassismusdebatten und Kritik am US-amerikanischen Rechtssystem, interessant.
Noch ein Romanerstling schaffte es zum Abschluss vorgestellt zu werden – da war die Sonne schon weg und verpasste leider diesen unbedingten Lesetipp. Das Genie von Klaus Cäsar Zehrer (2017) handelt von William James Sidis, der 1898 in New York geboren wurde und als hochbegabtes Wunderkind in Windeseile alle Bildungseinrichtungen bis hin zum Doktortitel durchlief, aber wenig Lebenstauglichkeit im Alltag bewies und seinen Platz in der Gesellschaft nicht finden konnte. „Gleichermaßen gut recherchiert wie brilliant geschrieben“ wurde dem Roman gleich von mehreren anwesenden Leser:innen attestiert, „Versuch des Weglegens zwecklos“.
Am Ende wurden noch einige ausgelesene Bücher weitergereicht, man tauschte, verschenkte und schrieb sich weitere Empfehlungen auf, damit es auch beim nächsten Literarischen Garten wieder etwas vorzustellen gibt. Dieser wird voraussichtlich Anfang des kommenden Jahres als Wintergarten angeboten und steht wieder allen Interessierten zur Teilnahme offen.
Über 100 Menschen haben sich am vergangenen Samstag, 14. August, für einen Nachmittag nach Heiligenstadt locken lassen, um mehr über Heinrich Heines jüdische Wurzeln und so manches interessante Detail der Stadtgeschichte zu erfahren. Die Verbindung zwischen Heiligenstadt und Heine liegt unter anderem darin, dass sich der Dichter, Sohn aus liberalem jüdischen Elternhaus, dort im Juni 1825 – aus Karriere-pragmatischen Gründen heimlich – taufen ließ. Heute findet sich im Kurpark der Stadt ein Heinrich-Heine-Denkmal und an einer Straßenecke, etwas versteckt, eine Erinnerungstafel an eben jene Taufe.
Sicher war es auch das ausnehmend gute Sommerwetter, das Vielen die Teilnahme am Veranstaltungsformat „Litera-Tour“ besonders schmackhaft machte. Doch gab es außer sonnenbeschienenen Bänken vor der Konzertmuschel im Kurpark, umringt von unzähligen Blumen- und Schmetterlingen, noch anderen Genuss: Autor und Sprecher Hubert Schirneck aus Weimar brachte den Zuhörenden Heine auf vielfältige Weise nahe, mal mit Ausschnitten aus Briefen und Prosatexten, mal mit Gedichten, aber auch mit kritischen Betrachtungen aus Heines Umfeld. Viele Lebensstationen wurden durch die Lesung beleuchtet, von den ersten in der Schule bezogenen Prügeln bis zum langen Siechtum vor dem Tod, von der gespaltenen Beziehung zu Deutschland und den Jahren in Paris, vom Auskommen in der Ehe und dem Streit mit anderen Intellektuellen. Denn Heine erfuhr gleichermaßen Ablehnung wie Anerkennung für sein Schaffen und seine frei geäußerten, mitunter auch recht boshaften Ansichten. Die Lesung wurde musikalisch abwechslungsreich gestaltet von der 4-köpfigen KARINA-Band aus Heiligenstadt.
Anschließend machte sich die Menschenmenge auf, um, geführt von Christian Stützer, Gründungsmitglied des Initiativkreises „Jüdisches Erbe in Heiligenstadt“, an Orten jüdischer Vergangenheit mehr über die Stadtgeschichte und das Schicksal jüdischer Menschen und Gebäude zu erfahren.
Den Abschluss bildete der Besuch des Literaturmuseums Theodor Storm. Im Rosengarten konnte man sich bei Getränken, Kuchen und Suppe stärken und das Gespräch mit anderen suchen – im Hintergrund liefen musikalische Interpretationen von Heine-Texten, gesungen von Gerd Westphal und Katja Ebstein. Im Museum selbst führten Volontär Johannes Pilz und Museumsleiter Gideon Haut die Interessierten sowohl in den Heinrich-Heine-Raum als auch in die derzeitige Ausstellung „Im Garten des Dichters“ mit Collagen zu Heine von Werner Löwe.
Die Veranstaltung wurde im Rahmen des Themenjahrs „900 Jahre Jüdisches Leben in Thüringen“ als Kooperation des Kulturrats Thüringen, des Literaturmuseums Theodor Storm und der Evangelischen Akademie Thüringen organisiert.
Zum fünften Mal findet die Sommerakademie für Plurale Ökonomik statt, zum zweiten Mal in Folge online. Das Zinzendorfhaus scheint verwaist, nur eine Handvoll junge Leute sitzen an Rechnern und hantieren mit Mikrofonen und Kameras. Die Teilnehmenden sowie die Referentinnen und Referenten schalten sich online hinzu. Dabei ergeben sich ungewohnte Gruppen, die gemeinsam lernen und debattieren: Bachelorstudierende aus Lateinamerika lernen von Doktorandinnen aus Deutschland, Postdocs arbeiten mit jungen Ökonomen aus Afrika. Neben zahlreichen jungen Frauen und Männern aus Deutschland und Europa sind engagierte Studierende aus allen Kontinenten (bis auf Australien) vertreten. Auf diese Weise werden Austausch und gemeinsames Lernen auf Augenhöhe möglich, auch wenn die jeweiligen Erfahrungen mit Wirtschaft, Politik und Lebensumständen ganz unterschiedliche sind.
Die Sommerakademie regt zum kritischen Nachdenken über den ökonomischen Mainstream und alternative Denkschulen an – denn die Teilnehmenden wissen, dass sie positiven Einfluss auf die Welt nehmen wollen. Und dazu brauchen sie ökonomisches Wissen, das relevant ist und die tatsächlichen Probleme der Menschheit (z.B. Gerechtigkeit, Klimawandel, Nachhaltigkeit, Gleichheit) lösen hilft.
Im Alltag, in der Gesellschaft und mit Blick auf zukünftige Entwicklungen stehen wir Menschen vor vielen Herausforderungen. Die Pandemie, der Klimawandel, Umweltverschmutzung und Nachhaltigkeit, politische Spannungen, Fragen von Gleichberechtigung und Gerechtigkeit, der Umgang mit Rassismus, Unterdrückung und sozialen Missständen – die Probleme der Gegenwart sind stets begleitet von der Frage nach der Zukunft. Was braucht eine gute Gesellschaft, in der die Leute heute und auch morgen gern zusammenleben wollen? Wie kann jede und jeder Einzelne etwas verändern und beitragen? Und wie können Erfahrungen aus dem Gestern helfen, um heute das Morgen zu gestalten?
Antworten darauf suchten Schülerinnen und Schüler im Projekt „Gestern war Heute noch Morgen“, das vom 19. bis 21. Juli in Erfurt stattfand. In drei Phasen einer Zukunftswerkstatt beschäftigten sich die Jugendlichen dazu mit aktuellen Problemen und Herausforderungen, die sie für sich und das Zusammenleben in der Gesellschaft wahrnahmen. Im Rahmen eines Councils – einer „offenen Versammlung“ – und der ersten Phase der Werkstatt galt es zunächst, die gesellschaftlichen und individuellen Probleme zu identifizieren und erste Lösungsansätze zu suchen. Dabei widmeten sich die Jugendlichen in Gruppen je einem spezifischen und selbstgewählten Thema, beispielsweise „Verschmutzung der Meere“ oder „Gleichberechtigung und Sexismus“. Gemeinsam übten die Gruppen dann in der Folge konstruktive Kritik an den Lösungsentwürfen, um sich im letzten Schritt gegenseitig ihre Ideen für die Zukunft zu präsentieren.
Die Zukunftswerkstatt unternahm dabei nicht nur den Versuch eines Blicks nach vorn, sondern auch zurück: Anlässlich des hundertjährigen Jubiläums der Weimarer Verfassung in 2019 betrachteten die Jugendlichen Elemente und den Werdegang der Republik, die die Grundsteine für die Demokratie der heutigen Gesellschaft in Deutschland legten. Dabei zeigten sich für sie in der Verfassungsfindung politisch-gesellschaftliche Parallelen zu heute. Ein direkter Transfer von Inspirationen aus der Weimarer Zeit für Zukunftsideen erschien insgesamt jedoch schwierig.
Zwischen den einzelnen Phasen der Zukunftswerkstatt kamen die Teilnehmenden immer wieder in Diskussionen über Aspekte von Demokratie als Staats-, Lebens- und Gesellschaftsform miteinander ins Gespräch. So gaben sie sich beispielsweise im Rahmen eines Szenarienspiels eine Verfassung für eine fiktive, postapokalyptische Gesellschaft oder ersetzten in einem Gedankenexperiment eine zuvor vorgegebene Regel für das gemeinsame Miteinander durch eine neue, die in der Gruppe ausgehandelt wurde.